Unbedingte Augen

Buchhinweise: Februar 2012 von Wolfgang Behrens
Quelle: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=6590:buchhinweise-februar-2012&catid=100:buecher&Itemid=86

Sie hat sich mehr als rar gemacht in den letzten Jahren. Auf der großen Theaterbühne sah man Jutta Hoffmann zuletzt vor zwölf Jahren, in einer fast schon versunkenen Theaterepoche: als Rosa Luxemburg in Einar Schleefs Inszenierung "Verratenes Volk" am Deutschen Theater Berlin. Die Schauspielkollegin Inge Keller stellt in dem hier anzuzeigenden Buch die "kleine Anfrage", warum man sie denn in keinem Theater mehr erleben könne.
Jutta Hoffmann antwortet 90 Seiten später so: "Schleef fehlt. Er fehlt mir als Regisseur. Er fehlt dem deutschen Theater. Es ist so, als würde eine Säule fehlen, das Dach hängt schief." Es ist natürlich nur die halbe Wahrheit, denn auch im Film ist sie kaum noch zu sehen: Jutta Hoffmann ist einfach eine, die einen enorm hohen Anspruch an ihre Kunst hat. Wird er nicht erfüllt, so steht sie nicht zur Verfügung.
Nicht zuletzt von dieser Unbeugsamkeit erzählt dieses Buch. Und von Zeiten, in denen es nicht gerade ungefährlich war, in künstlerischen Fragen unbeugsam zu sein. 1967 etwa will sie im DEFA-Film "Kleiner Mann - was nun?" die Rolle des Lämmchens durchaus nicht proletarisch anlegen: "Und wenn Ihnen das nicht passt, müssen Sie mich umbesetzen." Die Funktionäre knirschten mit den Zähnen und besetzten sie nicht um - eine bessere als sie hätten sie ohnehin nicht finden können. Denn das seiner selbst bewusste, das bewusst zeigende Spiel beherrschte und beherrscht sie wie keine zweite.
Als Nachschlag zu einer im vergangenen Jahr gezeigten Ausstellung im Filmmuseum Potsdam zeichnet der Band "Jutta Hoffmann. Schauspielerin" chronologisch die Arbeitsbiographie dieser Ausnahmekünstlerin nach: vom mit dem Silbernen Löwen ausgezeichneten DEFA-Star zur gefeierten Theaterschauspielerin bei Dieter Dorn, Peter Zadek und eben Schleef. Im Gespräch festgehaltene eigene Erinnerungen werden dabei von vielfältigem Material ergänzt, von Zeitdokumenten ebenso wie von Ehrbezeigungen ehemaliger Weggefährten. Vor allem aber ist das Buch ein Fest der Schwarzweiß-Fotografie: Von diesen Bildern mag man sich nicht losreißen, und schon gar nicht von diesen "unbedingten Augen" (ein Wort des großen DEFA-Regisseurs Egon Günther) in diesem so unfassbar wachen Mädchengesicht.