Presse zu "Film in der DDR - Daten, Fakten, Strukturen"

Berliner Zeitung, 27.11.2008, Ralf Schnek:  Was, wann, wer und wo?
Was, wann, wer und wo?
Berliner Zeitung, 27.11.2008, Ralf Schnek
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Der Große Jordan
Neues Deutschland, 22.04.2010, Ralf Schenk

Zehn Jahre lang hat Günter Jordan an diesem Buch gearbeitet; jetzt liegt es, nach einer Internetpublikation durch die DEFA-Stiftung, endlich auch in gedruckter Form vor: »Film in der DDR. Daten - Fakten - Strukturen«. Es ist Grundlagenforschung auf 580 Seiten: Jordan, einst als Regisseur beim DEFA-Studio für Dokumentarfilme angestellt und leidenschaftlicher Filmhistoriker, fügte alles zusammen, was relevant für Filmproduktion und -distribution im deutschen Osten zwischen 1945 und 1990 gewesen ist. Seine Arbeit schließt sämtliche Institutionen, Organisationen und Bereiche ein, die mit Film zu tun hatten, angefangen von den sowjetischen Besatzungsbehörden, der SED, den Ministerien für Kultur und Staatssicherheit, dem Fernsehen bis hin zu Verleih, Künstlerverbänden und Festivals, Kopierwerken und Entsorgungsfirmen. Wer wissen will, wo Filmleute ausgebildet und technische Forschungen betrieben wurden, welche Verlage Filmliteratur edierten, wie die Filmclubbewegung strukturiert war und wer in den Zeitungsredaktionen für Kinoberichterstattung zeichnete: Alle Daten und Namen, sofern sie zu finden waren, sind hier versammelt. Hinzu kommen Informationen darüber, wie das »Filmwesen« der DDR nach 1990 privatisiert wurde: Wer übernahm die Studios? Welche Produktionsfirmen wurden von ehemaligen DEFA-Mitarbeitern gegründet? Und in welchen Verbänden organisierten sich Künstler und Techniker neu?

Für dieses Werk, dessen Kurzbezeichnung vermutlich bald »Der Große Jordan« sein wird, suchte der Autor akribisch in Archiven und Bibliotheken, sprach mit Zeitzeugen und bündelte die verstreuten Fakten auf praktikable Weise. Dank eines Sach-, Schlagwort- und Personenregisters ist schnell herauszufinden, wer an welcher Stelle in welcher Funktion mit Film zu tun hatte. Nicht nur die exakten Amtsperioden der DDR-Filmminister sind erfasst (einer »überlebte« auf diesem Schleudersitz nur ein halbes Jahr), sondern auch die der DEFA-Direktoren, künstlerischen Gruppenleiter, SED-Kunstverantwortlichen oder russischen Kulturoffiziere. Jordan schlüsselt Unterstellungsverhältnisse auf, beleuchtet Entstehung und Metamorphosen der Studios und Kontrollgremien, recherchiert auch alle Filmproduzenten jenseits der DEFA. Dass es bei der Nationalen Volksarmee oder der Post ein eigenes Filmstudio gab, dürfte vielleicht noch bekannt sein; als Überraschung erweist sich dagegen die Vielzahl kleiner privater Produzenten im Filmbereich. Alle Kapitel werden durch sachliche Einführungen in das jeweilige Thema begleitet, mit Quellenhinweisen, Rechtsvorschriften und Literaturangaben belegt. Eine umfassendere Datensammlung zum DDR-Kino gab es nie - obwohl auch hier Lücken bleiben: Das Lichtspielwesen der DDR, also wo wann welche Kinos standen, welche Filme mit wieviel Kopien in den Verleih kamen und wie die Zuschauer wirklich reagierten, ist nach wie vor weitgehend unerforscht.
In den Jahren seiner Sisyphusarbeit wurde Jordan immer wieder von Freunden und Wegbegleitern ermutigt: zum Beispiel von Wolfgang Klaue, dem langjährigen Direktor des Staatlichen Filmarchivs und erstem Vorstand der DEFA-Stiftung, dem auch die finanzielle Unterfütterung des Projekts zu danken ist. Während einer Podiumsdiskussion im Potsdamer Filmmuseum, in dem das Buch jetzt herauskam, wurde darauf hingewiesen, dass ein vergleichbares Standardwerk für die westdeutsche Filmentwicklung nach 1945 eher nicht denkbar sei: Die Strukturen dort waren sehr viel kleinteiliger und unübersichtlicher und sind auch längst nicht so gut dokumentiert. So mag der »Große Jordan« ein Unikat bleiben: unverzichtbar für alle, die künftig zum »abgeschlossenen Sammelgebiet« Film in der DDR forschen und publizieren. Denn wer interpretieren will, muss sich zunächst erst einmal Kenntnisse aneignen: Jordan bereitet dafür bestens den Boden.

Günter Jordan: Film in der DDR. Daten. Fakten. Strukturen
MEDIENwissenschaft, 2/2010, Michael Grisko (Lübeck)

Es gibt Werke, die sind nicht nur auf den ersten Blick - ob ihres Umfangs - respekteinflößend, sie sind es auch auf den viel wichtigeren zweiten kritischen und auf den Inhalt gerichteten Blick. Das vorliegende Buch setzt Maßstäbe und fordert zur Nachahmung auf. Denn der Filmemacher und Publizist Günter Jordan hat mit den vorliegenden knapp 600 Seiten das zentrale Kompendium zum Film und dessen institutioneller und struktureller Verankerung in der DDR vorgelegt. Und dem Filmmuseum Potsdam ist für das in diesen Zeiten und knappen Kassen nicht immer vorhandene programmatische Selbstverständnis zu danken, mit dem sie dieses Buch auf den Markt bringen.

Es ist keine Filmgeschichte im klassischen Sinne, die nach Epochen, Gattungen, Genres und Perioden vorgeht, nein es ist eine Strukturgeschichte aller mit dem Film verbundenen Institutionen, deren rechtlicher Grundlagen, personeller Entwicklungen und staatlicher Einbindung und damit natürlich weit mehr als nur ein Blick auf die DEFA.

Man könnte von einer quantitativen Kartografierung des Sozialsystems Film in der DDR sprechen. Dies wäre nicht nur für sich grundlegend. In der DDR, wo eine institutionelle Einbindung für Sicherheit, Kontrolle und Planbarkeit sorgte, ist diese Strukturlandkarte noch einmal so bedeutsam. Um den Zugriff zu systematisieren hat Günter Jordan, als ehemaliger DEFA-Dokumentarfilmer selbst Teil des Betriebs, elf funktionelle Großbereiche herausdestilliert. So entfaltet sich das institutionelle Panorama in den Bereichen Institution, Produktion, Distribution, Präsentation, Organisation, Bildung, Wissenschaft, Publikation, Interaktion, International und Technik - mit jeweils bis zu zehn Untergruppen.

Unterhalb dieser Ordnung liefert Günter Jordan neben der genealogischen und personellen Darstellung der Institutionen, die jeweils eingeleitet werden durch eine lexikalische Einordnung und einen historischen Abriss, gleichzeitig ein Tableau einschlägiger Quellen. Wichtig hierbei ist, dass er nicht nur auf die vorhandenen Texte zur DDR-Filmgeschichte zurückgegriffen hat - die leider immer noch verstreut und nicht systematisiert ediert vorliegen -, sondern, als Ergebnis akribischer Recherche ineinschlägigen Archiven vor allem Verträge, Bestimmungen, Verordnungen, Arbeitspapiere und Protokolle (und deren Archivsignaturen) in einer Bibliografie zusammengetragen hat. Damit hat er den nachkommenden Forschergenerationen einen erleichterten Zugang zu den Entscheidungswegen, -formen und -trägern verschafft. Ein kommender und von hier aus leicht zu leistender Schritt muss die Edition zentraler Dokumente zur DDR-Filmgeschichte sein.
Mit dem umfangreichen Sach-, Schlagwort- und Personenregister lassen sich jedoch auch schnell neue Zugänge zur DDR-Filmgeschichte finden.
Etwa die Neubestimmung der Bedeutung einiger Personen innerhalb und für das System Film in der DDR. So hat beispielsweise der 1909 geborene, von 1946 bis 1976 bei der DEFA und anschließend im Film- und Fernsehrat der DDR arbeitende Albert Wilkening die meisten (19) Einträge. Schaut man jedoch in die einschlägigen filmgeschichtlichen Darstellungen, ist er eine Person, die - obwohl vor 1961 zeitweilig und ab 1967 bis 1976 durchgängig Studiodirektor - nur am Rande auftaucht.
Jordans Vademecum verdeutlicht Wilkenings kontinuierliches und vernetztes Wirken - jenseits aller rechtlich-institutionellen Änderungen - von der kommissarischen Leitung der Tobis bis zum VEB Spielfilm.
Er dokumentiert akribisch seine Mitgliedschaft und einflussreichen Positionen in den einschlägigen Verbänden (Verband der Film- und Fernsehschaffenden, Film- und Fernsehrat, Uniatec) und deren Kommissionen und seine Tätigkeit als Professor an der Hochschule für Film und Fernsehen (Leiter der Fachrichtung Kamera). Auch als Chefredakteur und späterer Herausgeber der Zeitschrift Bild und Ton (1948-1989) taucht er auf. Und nicht zuletzt etwa als Leiter des Arbeitsausschusses Kinotechnik bei der Kammer der Technik. Jenseits der bloßen Nennung - und das gilt für das ganze Buch und dessen Einträge - muss natürlich ein genauer, qualitativer Blick folgen und die jeweilige kreative und/oder innovative Bedeutung benannt und herausgearbeitet werden. Günter Jordans eindrucks- und gehaltvolles Vademecum liefert dafür jedoch in jedem Fall verlässliche Grundlagen.

Filmmuseum gibt ein umfassendes Kompendium zum DDR-Film heraus
Märkische Allgemeine Zeitung, 15.04.2010, Ricarda Nowak

In den 579 Buchseiten über "Film in der DDR. Daten, Fakten, Strukturen" steckt fast ein Jahrzehnt Arbeit. Arbeit, die sich - gemessen am Lob, das Autor Günter Jordan am Dienstagabend entgegennehmen durfte - gelohnt hat. Der Filmwissenschaftler und Dokumentarregisseur habe ein "grundlegendes Werk" geschaffen, sagte Helmut Morsbach, Vorstand der Defa-Stiftung, zur Buchpräsentation im Filmmuseum. Jordans Kompendium ergänzt die Veröffentlichungen zur Defa- und DDR-Filmgeschichte um ein bislang fehlendes Nachschlagewerk, das von der Defa-Stiftung gefördert und vom Filmmuseum herausgegeben wurde. Dem Filmhistoriker und Defa-Experten Ralf Schenk zufolge hat Jordan einen "gewissen Schlusspunkt" unter die Geschichte des volkseigenen Filmstudios gesetzt.
Während Wissenschaftler bisher ausgiebig die Spiel-, Dokumentar- und Trickfilmlandschaft der DDR betrachteten, rückt Jordan die Strukturen des Lichtspielwesens in den Mittelpunkt. Das Buch soll verstehen helfen, unter welchen Bedingungen Film entstand, wie sich politische und wirtschaftliche Veränderungen auswirkten.
Bevor Jordan zu den filmrelevanten Kapiteln Produktion, Distribution und Präsentation gelangt, widmet er sich jenen zahlreichen Institutionen - darunter den sowjetischen Besatzungsbehörden, dem Staatlichen Komitee für Filmwesen und dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) - die Filmschaffen unter ihrer politischen und staatlichen Aufsicht ermöglichten, erschwerten, verhinderten. So ist nachzulesen, dass sich das MfS auf die "Zerschlagung revisionistischer Gruppierungen" in der Defa-Dramaturgie konzentrierte, bei der Entwicklung von Stoffen und bei Regiebesetzungen mitmischte, Westkontakte kontrollierte. In weiteren Kapiteln behandelt Jordan Themen der Bildung, Wissenschaft, Technik, befasst sich mit Filmmagazinen und -klubs, mit Filmarchiven und -festivals.
Ursprünglich sollte Jordans Projekt nur auf den Internetseiten der Defa-Stiftung erscheinen. Angesichts der Materialfülle entschied sich die Stiftung zusätzlich für eine Papierausgabe. Das Buch wirft "Ratlosen einen Ariadnefaden zu, damit der historische Kontext verständlicher wird", so Filmmuseumschefin Bärbel Dalichow. Laut Filmhistoriker Claus Löser ist die Kontextualisierung bitter nötig: "In Bezug auf die Defa besteht in Deutschland mehr Erklärungsbedarf als in Mexiko", sagt er nach Diskussionen in den alten Bundesländern. Rainer Rother, künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek Berlin, wünschte sich ein entsprechendes Kompendium zum westdeutschen Film.

Zu welchem Ende schreibt man Filmgeschichte?
Günter Jordan brachte das Nachschlagewerk "Film in der DDR. Daten. Fakten. Strukturen" heraus
PNN, 15.04.2010 Von Gabriele Zellmann

Wer von Filmgeschichte spricht, meint zumeist die Geschichte von Filmen und Filmemachern, von Regisseuren, Autoren und Schauspielern, nicht aber die Geschichte von Institutionen und Strukturen, die mit Film zu tun haben und Film erst ermöglichen. Um diese aber geht es in Günter Jordans Nachschlagewerk "Film in der DDR. Daten. Fakten. Strukturen", das vom Filmmuseum Potsdam herausgegeben und dort am Dienstagabend präsentiert wurde.

Das Werk ist krönendes Ergebnis einer zehnjährigen Arbeit des Filmhistorikers und ehemaligen DEFA-Dokumentarfilmregisseurs. Günter Jordan führt darin akribisch recherchierte Daten und Fakten zusammen, benennt, vernetzt, setzt in Beziehung, fasst zusammen. Er bezieht dabei nicht nur alle Institutionen und Bereiche ein, die mit Film zu tun hatten - von den Studios über den Verleih und bis zu Betrieben, in denen man verschlissene Kopien wieder abwusch. Darüber hinaus zeigt die Arbeit den gesellschaftlichen Kontext der untergegangenen DDR. Über die SMAD, die Sowjetischen Militäradministration beispielsweise, ist darin ebenso zu erfahren wie über den Verband der Film- und Fernsehschaffenden oder die Fragen, wer in der DDR wann und wo Filmwissenschaft betrieb oder wie und woraus das Ministerium für Staatssicherheit erwuchs. So spiegelt dieses Kompendium auch ein Stück DDR-Geschichte.

Was für ein Schatz an Basiswissen auf den knapp 600 Seiten gebündelt ist, wird mit immer größerer Schärfe hervortreten, je mehr das Wissen über die untergegangene DDR im Erinnerungsnebel verschwimmt. Doch nicht erst, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, wird zu diesem Standardwerk greifen, wer sich für Film in der DDR interessiert, dazu forscht oder einfach etwas über DDR-Geschichte wissen möchte.

Mit der Buchpräsentation zu einem Gespräch anzuregen, war der Wunsch des Autors. So drehte sich die von Filmwissenschaftler Ralf Schenk moderierte Podiumsdiskussion um die frei nach Schiller assoziierte Frage "Wozu und zu welchem Ende schreibt man Filmgeschichte?"

Es war 2000, als Günter Jordan die umfangreiche Recherche begann. Notwendig wurde sie schon durch die vielen Fehler in Publikationen über DEFA-Filme, die auf fehlender Kenntnis von gesellschaftlichen Zusammenhängen und Strukturen beruhten, in denen in der DDR Filme entstanden und in denen mit Film gearbeitet wurde. Filmhistorikerkollegen bestärkten ihn in Gesprächen darin immer wieder. Besonders Wolfgang Klaue, damals Vorstand der noch nicht lange existierenden DEFA-Stiftung. Für Helmut Morsbach, der 2003 die Vorstandsarbeit übernahm, ist dieses Projekt heute eines der wichtigsten und gleichzeitig längsten der DEFA-Stiftung. Bereits seit 2008 ist eine Vorläuferversion als digitales Nachschlagewerk, das immer wieder Updates erfahren soll, auf der Webseite der DEFA-Stiftung nutzbar.

Danach befragt, ob er sich ein solches Standardwerk auch für westdeutschen Film wünsche, sagte Rainer Rother, künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek, dass ein solches Buch über die westdeutsche Filmgeschichte ein neues Verständnis für Filmgeschichte wecken könnte. Denn die bisher geschriebene Filmgeschichte geht fast ausschließlich von Seherfahrungen aus. Aufgrund der viel anarchischeren und kleinteiligeren Struktur - manche Firmen hätten nur für einen Film lang bestanden - sei es jedoch kaum zu erstellen. Schon jetzt aber würden sich Fragestellungen ändern, grundsätzlicher werden. Oftmals stehe nicht mehr der einzelne Film oder das Werk eines Regisseurs im Mittelpunkt.

"Jede Epoche muss ihre Filmgeschichte neu schreiben", so Filmhistoriker und Journalist Claus Löser. "Wir wissen noch gar nicht, was Leute an der DEFA interessieren wird, wenn sich in zwanzig Jahren Erfahrungswerte und Lebenswirklichkeiten verändert haben werden."

Entscheidend aber, da war man sich einig, sei für die Einordnung und Bewertung von Filmen stets auch die Kenntnis der Rahmenbedingungen, sonst ist es Meinungsmache, keine Filmgeschichte", so Jordan. Mit seinem Buch wolle er nicht nur den vielen Kollegen, die mit ihm zusammen gearbeitet und ihn unterstützt hätten, etwas zurückgeben. Sondern auch die Aufmerksamkeit für Bereiche wecken, die sonst in der Filmgeschichtsschreibung der DDR selten diskutiert werden - das Lichtspielwesen etwa, oder auch die Finanzierung und Refinanzierung von Filmen in der DDR.
Auf seinen Wunsch hin lief im Anschluss an das Gespräch "Märkische Forschungen" des DEFA-Regisseurs Roland Gräf aus dem Jahr 1982. Welcher Film hätte den Abend besser beschließen können als dieser, der die Geschichte eines enthusiastischen Forschers erzählt?