Jutta Hoffmann zeigt, was sie kann

Schönes Lernen vom Schilf
Von Hans-Dieter Schütt In: Neues Deutschland, Literaturbeilage, 15. - 18.03.2012

Dieses Buch schlägt in Beschreibungen von Weggefährten und Kritikern einen Bogen durch das Theater- und Filmwerk einer Schauspielerin, das vor allem eines war: Maßstabpflege. Jutta Hoffmann ist lebenslang eine intensive Spielerin gewesen, so, wie sie in gleicher Intensität, in souveräner Würde, eine Verweigerin blieb - von bloßem Handwerks-Zeug, von Beliebigkeitsgaukelei, von Auftritten des Auftritts wegen.
Die große Hoffmann, 1941 in Ammendorf bei Halle geboren, das ist eine freche, bisweilen betont burschikose Schönheit, vor allem diese Augen aus dem Wunder- und Wundenland. Immer waren diese Augen, so schien es, größer als das, was ein Mensch fassen kann, wenn er sich die Welt so anschaut, aber nie groß genug konnten diese Augen für das sein, was der Mensch hoffen, glauben möchte; Tapferkeits-, Trotzgröße, diese Augen - gegen das, was der Mensch verschmerzen muss, einsehen soll. Einsehen soll gegen Befehle, die von draußen kommen, nicht aus einem selber.
Volker Braun schreibt in seinem Text zum Buch von einer »Freiheit, die aus fester Tiefe kam«, er beschwört das »nicht Denkbare, das Gefürchtete«, wagt die Utopie, »wir könnten es leben«. Jutta Hoffmann ist im Sinne dessen ein Mutlächelnde, eine Muttrotzige. So eine Eigenwillige, ja, die macht immer auch Furcht - was nur jenen Liebreiz erhöht, der ein Liebreiz der instinktiven Intelligenz ist. Solche Bücher - das Spielen in Worte fassend, es in Bildern überliefernd - sind ja immer dort am lebendigsten, wo das porträtierte Wesen gleichsam verlassen wird in den Gedanken, den es in einem selber auslöst. Als könne nur festgemacht werden, was weitererzählt wird wie eine nicht endende Geschichte. Jutta Hoffmanns Buch ist so.
Alexander Kluge setzt die Künstlerin fantasierend auf einen Schulplatz vor einem Backsteingebäude, dort wäre sie, wären alle noch Kinder, »das Mädchen, das ich an den Haaren ziehen will und das auf diesen Angriff heftig antwortet«. Peter Zadek nennt die Künstlerin »zentral, stark«, Friedrich Dieckmann bezeichnet ihre Spielweise »zart zeigend, leichthin insistierend«. Egon Günther (»Der Dritte«, »Die Schlüssel«, »Lotte in Weimar«) sieht Hoffmanns Leistung fest gebunden an die Unzertrennlichkeit von »Identifikation und Opposition«, diese Frau »ist nicht unterdrückbar«.
An den Fotos kannst du dich festfressen, vielen Be¬trachtern wird viel eigenes Leben entgegenstürzen, man wächst ja mit Filmen und Theateraufführungen auf wie mit Menschen und Musiken. Das Lämmchen in Hans-.Joachim Kasprziks Fallada-Verfilmung »Kleiner Mann - was nun«: Jutta Hoffmann ist im Kampf einer seelischen An¬mut gegen die soziale Zumutung ein Panzer aus herzbewegender Sanftheit; aber stets hört man auch das Klirren, wenn wieder ein weiterer Eissplitter der bösen Wirtschaftskrisenzeit, Risse schlagend, ins Leben dieser Pinnebergs fällt.
Die Hoffmann kann das Weh wie eine Ordensweihe spielen, so, wie sie die Liebe ehrlich und entsetzensfähig auch als einen tragischen Kräfteraub zeigt.
Mit dieser feinsten Rauschichte über jedem Schmelz all ihrer Liebenswerten, Komischen, Naiven, Selbstbewussten, Arbeiterinnenschönen und Adelskecken hat sie Gestalten geschaffen, die dem Charakteristikum, mitten im Leben zu stehen, eine besondere Wahrheit einschrieben: Es ist der Platz des Umtostseins, wo alle Daseinsmöglichkeiten am Menschen zerren; der Platz auch, wo das Zarte zugleich das Zähe sein muss und der Mensch am besten vom Schilf lernt: Das wankte, aber weicht nicht. Der Sturm weiß ein pfeifend Lied davon zu singen. Jutta Hoffmann ist in ihrem Werk gleichsam schönst geschmeidiges, tänzerisches, arbeitendes Schilf.
Dieser Band ist eher Werktagebuch als repräsentativ. Schon gar kein Plaudern. Präsenz muss sein bei einer Komödiantin. Aber siehe: Jutta Hoffmanns Präsenz ist groß und leuchtend, wie nur gute, bezaubernde Arbeit sein kann.