Von der SED-Politik zum »vertrauensvollen Dialog« ermuntert, wagten Anfang der 1970er Jahre bald auch Filmkünstler/-innen neue Wege. Die kulturpolitische Entspannung ermöglichte eine - bis dahin ungekannt offene - Debatte über die Funktion des historischen Erbes, in deren Zentrum zunächst die Weimarer Klassik stand.
Anhandder Literaturverfilmung »Lotte in Weimar« (R: Egon Günther, DDR 1975) und des experimentellen Dokumentarfilms »Ein Weimarfilm« (R: Jürgen Böttcher, DDR 1977) fragt Jens Riederer, Leiter des Stadtarchivs Weimar, in seinem Vortrag nach dem Einfluss kulturpolitischen Kalküls auf DEFA-Filme über Weimar und sucht nach Spuren künstlerischer Reflexionen zu den damals aktuellen Kulturdebatten über Goethe und Weimar.
Vortrag mit Filmbeispielen von Jens Riederer (Stadtarchiv Weimar)
Das Kulturkonzept der DDR zielte u.a. auf die Ausbildung eines sozialistischen Nationalbewusstseins. Seit ihrer Gründung wurde die Weimarer Klassik instrumentalisiert, um nationale Identität zu stiften. Bürgerlichen Humanismus und antifaschistischen Impetus galt es zu verknüpfen. Später weitete sich der Erbe-Begriff. Ein individualisierter, auf die Gegenwart bezogener Umgang mit den literarischen Überlieferungen der Weimarer Klassik wurde möglich.Die Reihe versammelt schwerpunktmäßig Dokumentar- und Spielfilme aus den 1970er und 1980er Jahren, die neue Sichten vornehmen. Sie mäandern zwischen dem kanonisierten Klassikbild und der Begeisterung für Gegenklassiker, zwischen affirmativer Auftragsproduktion und Erwartungsentzug durch widerständige Sujetwahl.Gewidmet ist die Reihe dem am 31. August 2017 in Potsdam verstorbenen 90-jährigen Regisseur und Schriftsteller Egon Günther, der mit seiner Innovationskraft nicht nur das Genre der Literaturverfilmungen erneuert hat. Die Filmauswahl würdigt zudem die künstlerischen Leistungen der Drehbuchautorin Helga Schütz und des Kameramanns Peter Brand, die 2017 runde Geburtstage feiern.
Mit freundlicher Unterstützung der DEFA-Stiftung