Die Sammlung Ulrich Illing

Das kleine Tonfilmmuseum im Studio Babelsberg

Die Sammlung Ulrich Illing - Das kleine Tonfilmmuseum Studio Babelsberg
Das kleine Tonfilmmuseum im Studio Babelsberg in seiner ursprünglichen Form, Foto: Ulrich Illing

Das kleine Tonfilmmuseum Babelsberg war ein einmaliger Wissensort auf dem Gelände der Babelsberger Filmstudios, in dem die Geschichte des Tons und des Tonfilms vermittelt wurde. Der ehemalige Leiter der DEFA-Tonabteilung Ulrich Illing hatte die einzigartige Sammlung angelegt und stetig ergänzt. Mit den Exponaten verknüpfte er technologische Aspekte mit Rückblicken in die Arbeitsweise am Standort - von der Decla Bioscop, über Ufa und DEFA bis in die jüngste digitale Zeit. Die meisten der rund 250 Objekte befinden sich im betriebsfähigen Zustand.

Nach dem Tod von Ulrich Illing hat das Filmmuseum Potsdam seine Privatkollektion im Sommer 2019 erworben. Förderer war das Ministerium für Wirtschaft und Energie des Landes Brandenburg. Die wertvollen Objekte wurden dokumentiert, archivgerecht verpackt und eingelagert. 2022 kehrt das Tonfilmmuseum in die Öffentlichkeit zurück. Mit Eröffnung des neuen Sammlungsgebäudes ganz nah an Illings Wirkungsstätte wird das Filmmuseum herausragende Exponate wieder für Besucher*innen zugänglich machen.

Die Sammlung vereint einerseits historische und oft exotische Geräte, die Töne mit technischen Mitteln aufzeichnen und reproduzieren können: Edison Phonograph für Tonwalzen, Grammophon für Schellackplatten, Tefifon mit Kunststoffband, Drahttonrekorder und Magnetophon. Zum anderen sind Technologien des Toneinsatzes beim Film nachvollziehbar - vom frühen Tonbild, über den 4- und 6-Kanal-Magnetton bis hin zum Dolby Digital-Verfahren. Durch mobile Nagra-Rekorder und BildTon-Schneidetische wird ein besonderes Augenmerk auf die Speicherung und Postproduktion des Filmtons gelegt. Highlights sind am Ort gefertigte und benutzte Apparaturen, wie das Pilottonaufzeichnungsgerät (PAG) der DEFA von 1963. Die Bandbreite erschließt sich nicht zuletzt anhand von Consumer-Modellen für Amateure. Auch hier konnte Ulrich Illing - selbst passionierter Amateurfilmer seit den 1960er Jahren - Wissen und persönliche Erfahrungen exzellent einbringen und durch sein persönliches Auftreten ein lebendiges Museum schaffen.

Ulrich Illings Tonfilmmuseum eignet sich in hohem Maße für die Vermittlung des Filmerbes - technisch und auch künstlerisch. Die Sammlung bietet sowohl Filminteressierten als auch Studierenden die Möglichkeit, Technologie in Funktion zu erleben und zu erforschen, ganz nah und greifbar. Sie bereichert das Filmmuseum Potsdam als lebendigen Kulturort für regionale, nationale und internationale Filmgeschichte.

Ulrich Illing (1945-2018)

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Ulrich Illing am Edison-Phonograph, 2011. Foto: Manfred Thomas, Filmmuseum Potsdam

Ulrich Illing war ein Filmbegeisterter, ein Leben lang. Geboren am 15. August 1945 in DoberlugKirchhain machte er seine ersten Kinoerfahrungen beim Landfilm. Später, als Gymnasiast, ließ er sich zum Filmvorführer und Mechaniker ausbilden. 1964/65 tourte er über die Dörfer des Kreises Jessen (Elster) - mit einer mobilen Kinoanlage TK 35/TK 16 des Landfilms, die er viele Jahre danach zum Kernexponat seines Tonfilmmuseums auswählte. In seiner Freizeit drehte er kleine 8mm-Filme und initiierte einen Filmklub. Später, in den 1970er und 1980er Jahren, schuf der begeisterte Amateurfilmer künstlerisch anspruchsvolle Potsdam-Impressionen auf Super 8 und konstruierte sogar ein eigenes Tonsystem für dieses Format. Illings Leidenschaft für den Film, technisch und künstlerisch, erstreckte sich stets über das Berufliche hinaus.

Seinen Interessen folgend begann er 1965 ein Studium der Informationswissenschaften an der Technischen Hochschule Ilmenau und schloss es 1970 als Diplomingenieur ab. Ulrich Illing wollte zum Film und zur DEFA, dem größten Filmproduktionsbetrieb in der DDR. Am 1. Oktober 1970 fing er als Ingenieur für Wiedergabetechnik in der Tonabteilung des Spielfilmstudios in Babelsberg an. Sein Engagement für technische Verbesserungen lässt sich auch anhand seines Aufstiegs bei der DEFA belegen: 1973 wechselte er als Geräteentwickler in die Forschungsabteilung "Neue Technik" und 1980 wurde Illing schließlich Abteilungsleiter für Tontechnik; im unterstanden fortan 70 Mitarbeiter*innen. In diese Jahre fielen technologische Neuentwicklungen zum Magnetton und vor allem zur schleifenlosen Synchronisation (Schlosy), einer elektronischen Anlage zur Nachsynchronisation von Film-Takes "von der Rolle". Der permanente Devisenmangel musste dabei oft mit Einfallsreichtum, Bastlergeschick und Improvisation wettgemacht werden.

Auch unter den neuen Eigentümern und unter marktwirtschaftlichen Bedingungen blieb Ulrich Illing bis 2005 Leiter der Tonabteilung der Studio Babelsberg GmbH. Selbst im Rentenalter zog es ihn weiterhin zu seinem Wunscharbeitsort, als Berater, Sammler alter Film- und Tongeräte und Kurator seines urigen Kleinen Tonfilmmuseums, das er 2010 eröffnete. Parallel unterrichtete Ulrich Illing an der Hochschule für Film- und Fernsehen "Konrad Wolf" (heute Filmuniversität Babelsberg). Dem Potsdamer Filmmuseum war er stets freundschaftlich verbunden. So organisierte Illing 2002 die Foyerschau "90 Jahre Tonfilm in Babelsberg" und unterstützte andere Ausstellungen mit Leihgaben aus seinem Besitz. Auch schenkte er dem Filmmuseum seltene technische Exponate wie die einzige Stereo-Lichttonkamera der DEFA. Ulrich Illing verstarb am 2. Dezember 2018.

Sammlungsschwerpunkte

Meilensteine der Tontechnik: Edison Phonograph

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Edison Phonograph im Tonfilmmuseum, Foto: Filmmuseum Potsdam

1887 konstruierte Thomas Alva Edison den Wachswalzen-Phonographen, auch "The New Phonograph" genannt. Gegenüber seinen seit 1877 hergestellten "Sprechmaschinen" verwendete Edison nun Walzen aus einem fünf bis sechs Millimeter dicken Paraffinwachs. Dies verbesserte die Klangqualität erheblich und reduzierte die Abnutzung beim Abspielen. Außerdem konnten die Wachswalzen abgeschliffen und wiederverwendet werden. Der Antrieb erfolgte nicht elektrisch, sondern über ein Federwerk. Ulrich Illing erwarb für seine Sammlung das Einsteigermodell GEM, das seit 1899 auf dem Markt war und moderate 7,50 Dollar kostete - gegenüber dem Standardgerät für 20 Dollar. Zu dem Phonographen existiert u.a. die Walze mit einer Original Musikaufnahme von Enrico Caruso.

Mikrofone: CMV3

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"Neumann-Flasche", Foto: Filmmuseum Potsdam

Ab 1923 verwendete der deutsche Rundfunk Kohlemikrofone, hergestellt von der Berliner Firma Eugen Reisz. Ihr Mitarbeiter Georg Neumann begann darauf, einen neuen Mikrofon-Typ mit verbesserten Eigenschaften zu entwickeln: das Kondensatormikrofon. Schallwellen bringen die Membran eines Kondensators in Schwingung, die Kapazitätsänderungen generieren entsprechende elektrische Signale. 1928 ging das CMV3 in Produktion. Die "Neumann-Flasche" ist rauscharm und bildet fast die gesamte Bandbreite des menschlichen Gehörs ab. Neumanns Mikrofone wurden von den Nationalsozialisten oft zu Propagandazwecken benutzt; seinen Betrieb stuften sie als "kriegswichtig" ein. Das Tonfilmmuseum zeigte mehrere Varianten des CMV3 und seiner Folgemodelle, darunter ein Exemplar aus der DDR, was die Langlebigkeit der Technologie unterstreicht.

Ton für den DEFA-Film: PAG

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Tragbares Magnetbandgerät der DEFA, PAG, Foto: Filmmuseum Potsdam

In den späten 1950er Jahren setzte sich am Filmset die Magnettonaufzeichnung mit kleinen mobilen Pilottongeräten durch. Von der Kamera wird beim Drehen ein Tonsignal (der Pilotton) erzeugt und auf dem Band mit aufgenommen; beide Geräte arbeiten im Gleichlauf. Diese elektronische Perforation wird später beim Schneiden genutzt, um Ton und Bild synchron laufen zu lassen. Entsprechende Rekorder fertigten vor allem bundesdeutsche und Schweizer Firmen - Nagra-Kudelski, Stellavox, Maihak und Uher. Um Devisen zu sparen und dennoch technologisch Schritt zu halten, tüftelte die DEFA unter Gerhard Boden ab 1959 ein eigenes "Pilotton-Aufnahme-Gerät" (PAG) aus; baute es seit 1963 zusammen mit einem "KleinMisch-Pult" (KMP) in Serie. Langfristig konnte sich das eher unhandliche und störanfällige Set nicht durchsetzen; die DEFA importierte vermehrt "westliche" Technologie. Zu PAG und KMP liegen im Tonfilmmuseum zahlreiche Bandaufzeichnungen für DEFA-Spielfilme vor. Zudem existiert ein handgefertigtes Lehrmodell des PAG - mit dem zerlegten Antriebsmotor.

DDR-Landfilmanlage

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TK 35-Landfilmanlage, Foto: Filmmuseum Potsdam

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland die Jenaer Zeiss-Werke zum Hersteller einer mobilen Kinoapparatur; konstruktive Anregungen lieferten russische Geräte (K 303, K 25 etc.). Die einfachen und robusten 35mm-Projektoren sollten helfen, auch der Landbevölkerung in der SBZ/DDR einen Kinobesuch zu ermöglichen. Um mehraktige Spielfilme ohne Pause vorführen zu können, war der "Ton-Koffer 35mm" (TK 35) als Doppel-Anlage konzipiert. Sie besteht aus zwei Holzstativen, den beiden Projektorköpfen mit den Lampenhäusern und jeweils zwei "Feuerschutz"-Kassetten. Hinzu kommen Schaltgerät, Röhren-Verstärker und Lautsprecher. Die TK 35 wurde bis 1959 in mehreren Serien produziert; sie ließ sich ohne Werkzeug von nur einem Vorführer auf- und abbauen. Modifikationen entstanden mit dem 16mm-Projektor TK 16, ebenfalls von Zeiss gefertigt, der mit dem gleichen Verstärker und Schaltgerät betrieben werden konnte. Ulrich Illing hatte eine besondere Beziehung zur TK 35/TK 16 - als junger Vorführer zog er mit ihr durch die Dörfer des Elbe-Elster-Kreises und zeigte Filme, u.a. den französischen Krimi "...die sich verkaufen" ("Les Clandestines") von Raoul André.

Raritäten und Exoten: Deutscher Olympia-Koffer

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Deutscher Olympia-Koffer, Foto: Filmmuseum Potsdam

1936 gelang der kleinen Berliner Radiofirma Schaleco ein großer Wurf. Der Juniorchef Hans-Joachim Stanienda entwickelte einen preisgünstigen tragbaren Batterieempfänger: den "Deutschen OlympiaKoffer". Die Berichte von den Olympischen Sommerspielen 1936 konnten so auch mobil - z.B. bei Ausflügen ins Grüne - gehört werden, in recht guter Qualität. Zur Verfügung standen Sender auf Lang- und Mittelwelle. Der Absatz hielt sich mit ca. 3.000 verkauften Apparaten in Grenzen, was an dem vergleichsweise hohen Preis von 156 RM gelegen haben mag; denn der bekannte "Volksempfänger" kostete nur 76 RM. Das von Ulrich Illing in betriebsfähigen Zustand versetzte Gerät ist sehr selten.

Home-Movie-Equipment: Bolex-Sonorizer

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Bolex-Sonorizer im Tonfilmmuseum, Foto: Filmmuseum Potsdam

In den 1950er Jahren erlebte der Privatfilm einen beachtlichen Aufschwung. Die filmtechnische Industrie versuchte dabei die zunehmend zahlungskräftigen Amateur*innen zu überzeugen, auch 8mm-Filme fürs eigene Heim - wie im großen Kino - mit synchronem Ton auszustatten. Nach verschiedenen "Zweibandverfahren", bei dem Projektor und Tonband verkoppelt wurden, setzte Paillard-Bolex 1960 mit dem Sonorizer auf ein neues System: Der Magnetton wird als Randspur direkt auf dem 8mm-Streifen untergebracht. Bild und Ton liegen somit auf einem Träger; die Synchronität ließ sich leichter erzielen. Der mit 756 DM recht teure Sonorizer eignete sich für Aufnahme (Mikrofon, Schallplatten) und Wiedergabe; auch Projektoren anderer Firmen konnten verwendet werden. In seinem Tonfilmmuseum kombinierte Ullrich Illing den Sonorizer mit einem tschechischen Projektor AM 8 von Meopta.

Texte von Ulrich Illing zum Download

Ulrich Illing: Oskar Messters Erbe- Die Entwicklung der Tonfilmtechnik in Berlin und Babelsberg.
Ulrich Illing: "Lasst uns endlich ins Grüne gehen ...!" Guido Seeber, der Gründervater der Potsdamer Filmstadt
Ulrich Illing: Marksteine der Studio Babelsberg Geschichte
Ulrich Illing: "Die Leute hinter den Kulissen"- 70 Jahre DEFA-Technik, Hinweis: in wesentlichen Teilen publiziert von Ulrich Illing als "Wir machen hier alles!" Erinnerungen an die Generation der DEFA-Techniker. In: apropos: Film 2000. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Berlin 2001, S. 200-217. Zur Verfügung gestellt mit freundlicher Genehmigung der DEFA-Stiftung.
Ulrich Illing: "Historische internationale Beziehungen der Babelsberger Filmstudios"

Impressum: Projektbeteiligte und Förderer

Wissenschaftliche Begleitung und Texte: PD. Dr. Ralf Forster (Filmmuseum Potsdam)
Projektkoordination: Inga Selck (Filmmuseum Potsdam)
Redaktionelle Mitarbeit: Marisa Menzel (Studierende im Master "Filmkulturerbe" an der Filmuniversität Babelsberg)
Bestandserfassung: Katrin Abromeit (Filmmuseum Potsdam), Dennis Basaldella (Filmmuseum Potsdam), PD. Dr. Ralf Forster (Filmmuseum Potsdam), Inga Selck (Filmmuseum Potsdam), Marisa Menzel (Filmuniversität Babelsberg)
Filmproduktion: bfg filmproduction, Potsdam


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