Pressemitteilung

Nahezu jeder Mensch tanzt oder hat es getan - als Kind, als Jugendliche/r auf Partys, in der Disco, im Club oder auf der Straße. Tanzen ist Ausdruck elementarer Gefühle, der Lebensfreude ebenso wie der Trauer, des Stolzes, der Verführung und der Gewalt - und eine der ältesten kulturellen Praktiken der Menschheit.
Der Film weiß davon schon seit seinem Anbeginn. Der Tanz als Körper- und Raumkunst vereinigt visuelle Attraktion, Disziplin und Schönheit. Der Film überführt aber auch schon früh die Tanzformen, ihre Rhythmen und Dynamiken in eine eigene filmische Form: Bewegungen werden durch die Montage zerlegt und neu zusammengesetzt, Körperdetails betont, der Raum aufgelöst, einzelne Abläufe unterstrichen oder aus einer besonderen Perspektive beobachtet.

Mit der am 15. Juli 2017 startenden Ausstellung ALLES DREHT SICH.... UND BEWEGT SICH. DER TANZ UND DAS KINO widmet sich das Filmmuseum Potsdam in fünf thematischen Räumen der Geschichte des Tanzes im internationalen Film. Anhand von ikonischen Exponaten aus zahlreichen Sammlungen weltweit sowie auch aus den eigenen Beständen lädt das Museum seine Besucher*innen in die faszinierende Welt des Tanzes auf der Leinwand ein. Originalkostüme, Accessoires und Requisiten, Filmtechnik, Set Designs, Kostümentwürfe, Drehbücher, Plakate, Fotos und Filmszenen erzählen vom Filmtanz und der leidenschaftlichen Hingabe der Tänzerinnen und Tänzer an ihre Profession. Auch die Geschichte des Babelsberger Studios ist nicht denkbar ohne ureigene musik- und tanzaffine Genres wie
Musikfilm, Revuefilm, Operettenfilm, Tanz- und Ballettfilm. Bioskop, Decla, Ufa und DEFA haben sich durch alle Epochen hindurch des besonderen Schauwerts des Tanzes versichert.

Tanz im Film, das ist der Glamour der Ballsäle mit seinen faszinierenden Bewegungschoreographien, den großen Roben und eleganten Silhouetten einer tanzenden Gesellschaft, wie Raum 1 unterstreicht. Die Filmkamera entfacht ein Feuerwerk an Beweglichkeit. Das Licht der Ballsäle, Discos und Clubs rhythmisiert die Bewegungen zusätzlich. Die Besucher*innen treten in diesem Ausstellungsraum selber auf's Parkett und bewegen sich vom klassischen Ballsaal hinüber zur buntschillernden Disco. Die edlen Kostüme aus dem Film Onegin werden dem knappen Club-Outfit aus Der Nachtmahr gegenübergestellt, die Disco ist mit Saturday Night Fever vertreten und der Mambo mit Dirty Dancing.
Raum 2 wirft einen Blick zurück ins frühe Kino und die klassische Stummfilmphase. Kurzfilme zeigen Volkstänze, traditionelle, etablierte Tanzformen und vor allem Showtanz, so z.B. die den Körper gleichsam auflösenden Serpentinentänze. Tanzreformerinnen und -reformer wie Isadora Duncan, Mary Wigman, Rudolf von Laban oder Gret Palucca und die exzentrische Valeska Gert vermitteln ihre ausdrucksbetonten, sich teils von der Bühne lösenden Kreationen einem größeren Publikum, wie in der Ufa-Produktion Wege zu Kraft und Schönheit (1924). Aber auch Josephine Bakers Bananentanz erregt die Gemüter. Durch ein Guckloch können pikante Tanzdarbietungen betrachtet werden, die die damalige Filmzensur entfernt wissen wollte. Der erotische Apachentanz der Stummfilmdiva Asta Nielsen in Afgrunden wird prominent in Szene gesetzt, zugleich können frühe Trickfilmschleifen mit einem Spielzeugprojektor in Bewegung versetzt werden.
Die Revuen und Chorus Lines der internationalen Tanztruppen, welche zahlreiche Filme der 1930er Jahre prägen, übertragen militärische Bewegungsformationen auf die Bühne. Raum 3 widmet sich dem Blick, den der Film auf das Gleichmaß der normierten Körper, den Drill und den Gleichschritt ihrer Bewegung wirft. Busby Berkeleys Choreographien in Hollywood unterstreichen dies ebenso wie die deutschen Revuefilme in der NS-Zeit, die versuchen, mit ähnlichen Schauwerten aufzutrumpfen. Zur Illustration der rhythmischen Uniformität der Tanzenden dient hier eine großformatige Videoinstallation auf drei aneinander gekoppelten Bildschirmen. Filme wie Metropolis, Jud Süß oder Iwan der Schreckliche bebildern die innige Verbindung von Tanz und Gewalt dort, wo diktatorisch über Körper geherrscht wird. Hier ist aber auch der Ort der großen Film-Verführerinnen aus Mythos, Geschichte und Religion, der femmes fatale des Tanzes, die in Salome (1923) und Mata Hari (1934) das Geschehen dominieren.
Raum 4 lädt in die Welt des Musicals ein, das - bis heute - dem Tanz am meisten Raum gibt. Filmoperetten und Musicals brechen mit den Grenzen eines realistischen Kinos. Gleitende Übergänge von realistischen Szenen in eine Welt des Traums werden möglich. Lilian Harvey tänzelt und schwebt in Der Kongress tanzt (1930) durch die Ufa-Studiosets, Fred Astaire und Gene Kelly prägen lange die Szene in Hollywood, Cyd Charisse und Ann Miller sind die energiegeladenen Protagonistinnen. Wie durch Zauber verwandelt sich mit dem Einsetzen der Musik die filmische Welt. Kult wurden die Tanzformationen im DEFA-Musical Heißer Sommer (1964), der in einem begehbaren Set mit den "Männern, die noch keine sind" zum Greifen nah wird. Lilian Harveys rote Schuhe und Ann Millers grelles Glitzerkostüm aus Hit the Deck sorgen für eine goldwarme Atmosphäre, während auch Musical-Klassiker wie West Side Story oder The Rocky Horror Picture Show nicht zu kurz kommen.
Tanz ist schließlich und vor allem harte Arbeit, woran Raum 5 erinnert. Backstage-Filme widmen sich dem Alltag von Tänzer*innen und Choreograph*innen zwischen privaten Konflikten, Probenraum und Bühne - auch und gerade in ökonomischen Krisenzeiten. Der Tanz steht wie in Billy Elliot (2000) in besonders inniger Verbindung zur Identität der Tanzenden. Erzählt werden Geschichten von Tänzer*innen, die um ihre Identität ringen, sich wie in The Red Shoes (1948) zwischen 'Kunst und Leben' entscheiden müssen. Sie durchleben Krisen, feiern triumphale Erfolge oder zerbrechen, wie dies Black Swan (2012) auf das wirkungsvollste unterstreicht. Tanz-Dokumentarfilme (u.a. von Frederick Wiseman und Klaus Wildenhahn), aber auch Schulfilme z.B. über Gret Paluccas Unterricht in neuem künstlerischen Tanz, richten, wie auch Rhythm is it! (2010) ihren Fokus auf die Probenarbeit und auf Aushandlungsprozesse zwischen Choreograph*innen und Tanzenden. Als Backstage-Raum angelegt, ist Raum 5 von abgetanzten Dielen und rauen Wänden geprägt. An einer Ballettstange können die Besucher*innen sich selbst tänzerisch austoben oder sich vor Schminkspiegeln zurechtmachen. Die Tutus aus Black Swan sind ebenso prominent wie gebrochen in Szene gesetzt, während Ausschnitte aus Dokumentarfilmen wie La Danse oder Neukölln Unlimited die körperlichen Strapazen des Tanzens sichtbar machen.

Die von Ursula von Keitz und Johanne Hoppe kuratierte und nach einem Entwurf von Wilko Drews gebaute Ausstellung lädt mit Spiegelflächen, interaktiven und szenischen Elementen dazu ein, sich mit den Wirkmechanismen medialer Vorbilder auseinander zu setzen. Ein umfangreiches Filmprogramm (Anlage) im Kino, Kuratorinnenführungen, Live Acts und Angebote, die auch eigenes tänzerisches und filmisches Agieren ermöglichen, begleiten die Schau.

Medienbildung: Unter der Leitung von Prof. Jens Becker haben Studierende der Filmuniversität für einige Exponate der Ausstellung eine Audio-App für Kinder entwickelt, die über QR-Codes abrufbar sein wird. Außerdem haben sie einen Trailer sowie einen Blog zur Ausstellung erstellt, die auf der Homepage und im Kino des Filmmuseums zu sehen sein werden.
In buchbaren Workshops können Tanz-Clips gedreht werden: wild gestikulierend, elfen- oder maschinenhaft, schwer stampfend oder wie Tiere? - Im Mittelpunkt dieses Angebotes steht das Spielen mit Bewegungen, mit Bildausschnitten, eigentümlichen Perspektiven und Rhythmen. Entstehen sollen eigene Choreografien zu kurzen Musikstücken und jeweils eine überraschende Minute Film. Als Pilot für dieses Workshop-Angebot dient eine Projektwoche, die mit einer Willkommensklasse und weiteren Schüler*innen der Leonardo Da Vinci Gesamtschule Potsdam in der Woche vor der Ausstellungseröffnung (10.07. - 14.07.2017) stattfinden wird. Der Komponist Martin Leeder wird zusammen mit den Schüler*innen Musikstücke erarbeiten, die Schauspielerin Simone Kabst wird durch Bewegungsspiele zu freien, eigenen Choreografien anregen. Intensive Unterweisung in die filmtechnischen und -ästhetischen Aspekte werden die Teilnehmenden von dem Kameramann Matthias Kremer erhalten. Ergebnisse aus dem Workshop werden auch auf der Homepage des Filmmuseums zu sehen sein.

Neben diesen innovativen multimedialen Formaten werden selbstverständlich auch klassische Führungen angeboten. Geplant sind außerdem Gesprächsrunden in der Ausstellung: Das Format TALK IM MACHTRAUM wird sich verschiedenen Aspekten des Tanzes im Film widmen und sich mit sozialen und kulturellen Faktoren, Klischees und Rollenbildern auseinandersetzen, die verschiedene Tanzformen geprägt haben und prägen.

Die Ausstellung entstand mit freundlicher Unterstützung der Ostdeutschen Sparkassenstiftung gemeinsam mit der Mittelbrandenburgischen Sparkasse, der Landeshauptstadt Potsdam und dem Ministerium für Wirtschaft und Energie des Landes Brandenburg. Als Medienpartner begleiten das rbb Fernsehen, Antenne Brandenburg und die Märkische Allgemeine Zeitung die Sonderausstellung.

Zur Ausstellung erscheint im Schüren-Verlag Marburg der Band:
Alles dreht sich und bewegt sich. Der Tanz und das Kino.
Herausgegeben von Ursula von Keitz und Philipp Stiasny, mit Beiträgen von Wolfgang Thiel, Ines Steiner, Katja Schneider, Claudia Rosiny, Cornelia Lund, Annemone Ligensa, Peter W. Schulze, Stella Donata Haag, Senta Siewert, Christoph Büttner u.a.
252 Seiten, zahlreiche Abb., 24,90

Öffnungszeiten: Di - So 10 - 18 Uhr/ Eintritt: 4,50 , erm. 3,50
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Christine Handke
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