Die Nibelungen. Mythos, Alltag und Moderne

Szenenfoto Die Nibelungen; R: Fritz Lang
Die Nibelungen
Mythos, Alltag und Moderne

Fritz Langs zweiteiliger Film Die Nibelungen entstand 1922 bis 1924 in einer Drehzeit von 18 Monaten und insgesamt fast zweijähriger Produktionszeit für die Decla Bioscop AG und kostete acht Millionen Reichsmark. Das Drehbuch verfasste Thea von Harbou.

Der Film ist eine monumentale, vielschichtige Bildmaschine. Er zielte darauf, den seit Beginn des 19. Jahrhunderts im Zug der Bestrebungen um eine nationalstaatliche deutsche Einigung politisch-ideologisch instrumentalisierten Stoff einem Massenpublikum im Kino plastisch zu vermitteln.
Dabei distanzierte sich Lang von der Ästhetik Hollywoods, das mit Allan Dwans und Douglas Fairbanks' Robin Hood (1922) ebenfalls einen actionreichen "Mittelalter"-Stoff verfilmt hatte.

Die Geschichte der Nibelungen und ihres Untergangs war durch die popularisierten neuhochdeutschen Nibelungenlied-Übersetzungen ab 1807, Carl Simrocks Jugendbuch von 1827 (das bis 1900 40 Auflagen erlebte), Friedrich Hebbels dreiteilige Tragödie (1861), Richard Wagners Ring-Tetralogie (1876), die Bilderzyklen u.a. von Peter von Cornelius (1817), Julius Schnorr von Carolsfeld (1867) und Carl-Otto Czeschka (1908) im kulturellen Gedächtnis der deutschen Gesellschaft tief verankert.

1914 instrumentalisierten die deutschen Militärs durch den Begriff der "Nibelungentreue"zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn den Mythos für ihre Kriegspropaganda.
1917 erfand General Ludendorff, flankiert von der journalistischen Rechten, die "Dolchstoßlegende" und bemühte dafür das Bild von Siegfried, der hinterrücks von Hagens Speer getroffen wird.

Lang erzählt die Geschichte von Dienst, Treue und Verrat in bewegten Bildern, die die filmische Welt in einem geschlossenen artifiziellen Kosmos aus Phantastik, Mythos und fiktivem (Früh-)Mittelalter präsentieren. In diesem künstlerischen Anspruch trifft sich der Zweiteiler mit Wagners Bühnenfestspielkonzept des Ring des Nibelungen, auch wenn der Film stofflich andere Wege geht: Keine vor- oder überzeitliche Sagenwelt wird inszeniert, sondern die Spannung zwischen höfischem Hochmittelalter und archaischer Völkerwanderungszeit.

Die Nibelungen ist ein cinematisches Gesamtkunstwerk aus Zeichen, Mustern, Emblemen und Symbolen, architektonischer Wucht, Symmetrie, erstarrter Ordnung, verflächigten, zu Ornamenten arrangierten und degradierten Körpern, großen Gesten, maskenhafter Mimik, aus Pathosformeln, dumpfer Fatalität, Terror und entfesselter Gewalt - aber auch zauberischem Lichtflirren, entspannter Unaufgeräumtheit, Märchennaivität und einer neo-romantischen Naturauffassung, die den Geist der Lebensreform in die junge Weimarer Republik trägt.