Raumfilm Zeiss Ikon - 3D-Kino vor 75 Jahren

Am 5. Dezember 1937 fand im Ufa-Palast am Zoo in Berlin eine bemerkenswerte Premiere statt: Zum ersten Mal in Deutschland konnten Kinozuschauer einen Film in 3D erleben. Dazu benutzten sie eine sog. Polarisationsbrille. Der 10-Minüter, den sie sahen, trug den bezeichnenden Titel "Zum Greifen nah" und warb für die Volksfürsorge Versicherung. Entwickelt hatte das Verfahren das bedeutende Dresdener Foto- und Filmtechnikunternehmen Zeiss Ikon. In der Praxis getestet wurde es vom größten Werbe- und Industriefilmunternehmen Mitteldeutschlands, der Boehner-Film, ebenfalls aus Dresden.

Vergleich Raumfilm Normalfilm
Analoge 3D-Filme beruhen auf der Einband- oder Zweiband-Technologie. Beim Einbandverfahren von Zeiss Ikon werden zwei quaderförmige Teilbilder, die um 90 Grad gedreht sind, in einem normalen Bildfeld auf dem Filmstreifen untergebracht.
Das Schema dieser speziellen Bildanordnung im Vergleich mit dem herkömmlichen 35mm-Film zeigt Abb. 1.
Zur 3D-Projektion ist demnach ein besonderes Objektiv notwendig, das beide Teilbilder übereinander legt und sie zugleich um 90 Grad in die aufrechte Position zurückdreht.
Stereoprojektionsvorsatz
Dies leistet der "Stereoprojektionsvorsatz" von Carl Zeiss Jena, ein unscheinbares aber hochkomplexes und zudem seltenes Objekt aus der filmtechnischen Sammlung (Abb. 2 und 3). Als Basisoptik dient ein Prokinar 1.6/90.
Rar ist dieses Objektiv vor allem deshalb, weil sich der "Deutsche Raumfilm" nicht durchsetzen konnte. Nach euphorischem Start und der Ankündigung von Boehner-Film, mit dem 3D-Film den Werbefilm plastischer und damit "handgreiflicher" machen zu wollen, wurde es bald still um das Verfahren.
Noch eine wohl als Demonstrationsfilm gedachte Etüde mit dem Titel "Drei Mädels rollen ins Wochenend" (1939) entstand,
Stereooptik
dann griff das Militär nach dem Raumfilm und reklamierte ihn für militärische Lehrfilme.
Von farbigen stereoskopischen Filmen wie "Koordinatensysteme", die den Soldaten das Orientieren am Nachthimmel erleichtern sollten, bemerkte die Öffentlichkeit nichts, sie wurden stets intern vorgeführt. Boehner-Film sicherten diese Aufträge den Status "kriegswichtiger Betrieb".
Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel der Neustart des Einband-Raumfilms bescheiden aus, denn nur eine Kamera war Boehner verblieben. Die Nachteile des Verfahrens gegenüber der amerikanischen Konkurrenz traten deutlich hervor. So schluckte der "Stereoprojektionsvorsatz" (Abb. 2 und 3) so viel Licht, dass die Bildhelligkeit trotz Spezialleinwand zu Wünschen übrig ließ. Die vergleichsweise kleinen Teilbilder führten zu allenfalls mäßigen Schärfen und Kontrasten. Die letzten deutschen Raumfilme nach diesem System entstanden so bereits 1953 für die Volkswagen AG ("Der weiße Traum") und die Continental-Werke Hannover ("Einfach Continental").
Auch in der DDR gab es Bemühungen, das Verfahren zu beleben. Der Dresdner Ingenieur Fritz Köber hatte 1951 für die Sowjetische Militäradministration eine Studie über die Neukonstruktion einer entsprechenden Raumfilmkamera ausgearbeitet, doch ist sie wohl nie gebaut worden und die DEFA hat demnach nie in 3D gedreht.

Versuchsfilm 3D Film_Schnipsel
Der in den Sammlungen des Filmmuseums überlieferte Stereofilm-Schnipsel in Agfacolor, auf denen das Schloss Babelsberg zu sehen ist (Abb. 4), stammt vermutlich aus den frühen 1940er Jahren. Aufgenommen wurde mit einem Agfacolor B-Negativfilm, der ab 1940 für Außendrehs gebräuchlich war. Die Lichtsignierung des Positivs (J0) mit der Kennnummer 428 legt als mögliches Herstellungsjahr 1940 nahe. Die 0 gibt die letzte Ziffer des Jahres an, J wäre Oktober. Zu welchem Filmprojekt diese Szene gehörte, ist leider nicht bekannt.

(Dank an Martin Koerber, Egbert Koppe und Gert Koshofer.)

Literatur:
Heinrich Kluth: Raumtonfilm 3D. Murnau, München, Innsbruck, Olten: Lux 1955.
Dieter Lorenz: Zeiss Ikon und die Stereoskopie. In: 75 Jahre Zeiss Ikon AG. Dresden: Technische Sammlungen der Stadt Dresden, Technische Universität Dresden 2001.
André Eckardt: Im Dienst der Werbung. Die Boehner-Film 1926-1967. Berlin: Cinegraph Babelsberg 2004.
Dieter Lorenz: Fotografie und Raum: Beiträge zur Geschichte der Stereoskopie. Münster: Waxmann 2012.