25. Februar - 20. März 1994
Der Filmautor und Filmwissenschaftler Rolf Richter (1932-1992), u.a. Initiator der Wiederentdeckung von DEFA-Verbotsfilmen auf der Berlinale 1990, begann in den achtziger Jahren intensiv zu zeichnen. Collagen auf gefundenem Papier entstanden, er benutzte Rückseiten von Postkarten, Filmprogramme, Zeitungen u.a.m. Die Materialien aus Abfällen waren ihm Mittel für seine Spiele gegen Zerstörung, Verfall und Missbrauch, Anlass für mögliche Harmonien - die Fantasie stellt sich den Zerstörungen entgegen. Für den Mann des Films war das Zeichnen, Malen, Collagieren eine Überlebensstrategie in widersprüchlichen Verhältnissen, eine spielerische Lebensäußerung, die ihm über vieles hinweg half ...
Kuratorin: Erika Richter (Berlin)
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"Wo er auch hinkam, wurde das ödeste Hotelzimmer sofort "sein" Platz, wenn er sich hingesetzt, einige Skizzen, Zeichnungen, Collagen gemacht und diese seine Zeichen im Zimmer aufgestellt hatte. In der letzten Zeit kamen Gezeichnetes, Gemaltes und Geklebtes immer mehr zu einer spannungsvollen Verbindung, und er begann große Bilder zu malen und zu collagieren. Zu DDR-Zeiten wäre er nie darauf gekommen, dass seine Bild-Schöpfungen ausgestellt werden könnten. Das streng geordnete Ausstellungswesen der DDR hatte für Außenseiter und Randexistenzen, ja schon für professionelle Maler, die keine Verbandsmitglieder waren, so gut wie keinen Raum. So war es eine unerwartete Freude, als arabische Freunde auf Vorschlag von Kaiss al Zubaidi, der 1990 einen kleinen Experimentalfilm über Rolf Richters Collagen gemacht hatte, ihm anboten, im Kreuzberger Kunstkeller im Juni 1991 eine Ausstellung auszurichten. Dieser erste Kontakt mit der Öffentlichkeit verlief ermutigend und weitere folgten.
Die "tröstlichen Spiele" Rolf Richters mögen die Besucher des Filmmuseums erfreuen, anregen und vielleicht sogar zu eigenen kreativen "Gleichgewichtsübungen" - so nannte er seine erste Ausstellung - veranlassen. Man sollte die Kunst, wie alle Gebiete des Lebens, nicht nur den Profis überlassen." (Erika Richter, 1994)
Parallel zur Ausstellung wurden im Kino des Filmmuseums zusätzlich zu Filmen, an denen Rolf Richter beteiligt war, einige der Filme gezeigt, die er mochte und mit denen er sich immer wieder beschäftigt hatte: "Das Wunder von Mailand" von Vittorio de Sica (1950), "Asche und Diamant" von Andrzej Wajda (1958) und "Iwans Kindheit" von Andrej Tarkowski.
"Als Rolf Richter - es war Ausgang der fünfziger Jahre - für den Berliner Rundfunk Filmkritiken zu schreiben begann, war der damalige Assistent der Babelsberger Filmhochschule ein so schüchterner junger Mann, dass er seine eigenen Texte lange nicht zu sprechen wagte. Die ihm eigene Zurückhaltung hat er nie ganz abgelegt, dafür aber eine innere Zähigkeit entwickelt, die ihm in Kollegen- und Künstlerkreisen hohe Achtung verschaffte. Er wurde im Laufe der Jahre so etwas wie eine moralische Institution mit strengen Maßstäben, jemand, der sich nicht anzupassen bereit war. Sein labiler Gesundheitszustand erlaubte ihm auf Dauer keine feste Anstellung, so war er keinem Vorgesetzten verpflichtet, widmete seine Zeit aber um so intensiver dem Film in allen seinen Bezüglichkeiten, in Sonderheit den Kinematografien der Sowjetunion sowie der Dritten Welt und suchte auch den Film als Kunst in der DDR aus seiner Enge herauszureißen, als Mittel der Kommunikation für viele. Blätternd in der Fachzeitschrift "Film und Fernsehen", die er zusammen mit seiner Frau, Erika Richter, seit der Herauslösung aus dem Henschel Verlag verantwortete, lese ich im Mai-Heft des vergangenen Jahres, das mit der Aufarbeitung von DEFA-Geschichte befasst ist, seinen Artikel über Jürgen Böttchers "Rangierer":
"Man bekommt allmählich das Gefühl, dass es hier schon immer so zugegangen sei und immer so sein wird, also eine Ahnung davon, was wir Menschen Ewigkeit oder wenigstens Unabänderlichkeit nennen. In all dem Lärm, wo Eisen auf Eisen schlug, wo Geräusche die Ohren betäubten, gab es mit einem Mal Stille, und wenn man genau acht gab auch ein Erschrecken. Auch das war für die DDR charakteristisch, eine Furcht vor dem "es verändert sich nichts, es bleibt alles, wie es ist."
Richter setzte diese letzten Worte in Anführungsstriche als Zeichen des bewussten Zitats, und er konnte sicher sein, dass die Leser ihn verstanden. Denn diese Worte spricht der Bürgermeister Jadup in Rainer Simons Film "Jadup und Boel" - zehn Jahre verbotene Worte in der DDR. Ich erinnere mich noch lebhaft an jenen Tag nach der Maueröffnung, als Rolf Richter in einer Zusammenkunft des Filmverbandes spontan eine Gruppe zusammenrief, nun jene Filme einzufordern, die in den Tresoren lagen. Und wenn - wenige Wochen danach - zehn verbotene DEFA-Filme in die Kinos kamen, angeführt von Frank Beyers "Spur der Steine", war es vor allem sein Verdienst.
Als sei jetzt alles möglich, notwendig, wichtig zu tun, stürzte sich Rolf Richter in den Kampf mit den Institutionen, um Bewahrenswertes zu retten, auch um das Filmtheater Babylon zu dem zu machen, was es heute ist: Treffpunkt junger Leute, Szenekino, Heimstatt für Künstler und den besonderen Film. Er plante und entwarf neue Themen für den Dokumentarfilm, die er mit Eduard Schreiber realisierte. Die Uraufführung des letzten mit dem Titel "Tribüne", eine Demontage der Selbstdarstellung von Diktatoren, wird er nicht mehr erleben.
Er hatte zu malen begonnen, zunächst spielerisch und kleinformatig, auf Postkarten, dann mutiger, seiner Fantasie vertrauend, so dass er im Sommer vergangenen Jahres eine Ausstellung im Kreuzberger Kunstkeller in der Stresemannstraße wagte. Er verstand die Wende als Herausforderung, eigenes zu verteidigen, zu überdenken, mehr zu tun als je zuvor. Lethargie kannte er nicht, Resignation hasste er. Mehr arbeitend als gut war, mutete er sich zu viel zu. Am 21. August versagte sein Herz."
(Nachruf von Margit Voss, 1992)