Presse zu "Der ungeteilte Himmel"

Berlin (dpa) - Zwischen Desillusionierung und Dankbarkeit schwanken ihre Gefühle 20 Jahre nach dem Mauerfall. In dem Interviewband «Der ungeteilte Himmel» erzählen Schauspieler aus der DDR aus ihrem Leben vor und nach der politischen Wende. Inge Keller, Michael Gwisdek, Dieter Mann, Jaecki Schwarz, Rolf Hoppe, Anja Kling, Ezard Haußmann und Jörg Schüttauf gehören zu den 19 Film-, Fernseh- und Theaterdarstellern, die in langen Interviews Auskunft gegeben haben. Die Autoren Ingrid Poss und Peter Warnecke haben die Erinnerungen aufgezeichnet und lassen die Protagonisten nun in Ich- Form erzählen.
Der Mauerfall veränderte das Leben der Künstler radikal: Der Zusammenbruch der DDR zerstörte viele Gefüge, auch die der Theater, der DEFA-Studios, des Fernsehens. Nicht alle DDR-Schauspieler waren auch nach der Wende wieder auf Bildschirmen, Bühnen und Kinoleinwänden zu sehen. Viele haben sich die langersehnte Freiheit außerdem ganz anders vorgestellt. «Die Wiedervereinigung war mir suspekt», erzählt Ursula Werner vom Berliner Maxim Gorki Theater, die es mit «Wolke 9» im vergangenen Jahr bis auf den roten Teppich der Filmfestspiele von Cannes geschafft hat.
Sie habe an eine Reformierung der DDR geglaubt, sagt Werner. Ihre Arbeit sei dann erstmal «beliebiger» geworden. «Alles muss sich rechnen und laufen, es darf nicht so kompliziert sein, man soll sich doch erholen und entspannen.» Dabei denke sie immer noch, dass die Menschen auch in Theaterstücke mit politischem Anspruch gehen würden. Als «unmoralisch» bezeichnet Werner, wie im vereinigten Deutschland heutzutage mit Geld umgegangen wird. Dabei denkt sie auch an die immensen Summen, die für einen Drehtag beim Film oder Fernsehen gezahlt werden, während sich Theaterschauspieler dafür lange abrackern müssen.
«Ich bin dankbar für mein Leben», resümiert die inzwischen 85-jährige Inge Keller. Sie überblickt eine Zeitspanne von den 20er Jahren als sogenannte Höhere Tochter im Westen Berlins bis zu ihrer großen Zeit am Deutschen Theater Berlin und ihrem bis heute andauernden Kampf um die Kunst der Sprache. Ezard Haußmann erzählt, dass er den Filmhit «Sonnenallee» seines Sohnes Leander Haußmann lange nicht mochte, weil er eben nicht über die DDR lachen konnte, die ihm so übel mitgespielt hat. «Der Osten gehört zu meiner Biografie», betont Jörg Schüttauf, der nicht nur als «Tatort»-Kommissar längst gesamtdeutschen Erfolg hat.
Er habe keine Angst vor dem «Klinkenputzen» gehabt, erzählt sein «Polizeiruf 110»-Kollege Jaecki Schwarz, der sich bei den West- Regisseuren nach der Wende überall neu vorstellte und bei einer Peter-Zadek-Inszenierung mit «West-Stars» merkte, dass die «auch nur mit Wasser kochen». Sehr offen und ehrlich berichten die Schauspieler in den zwischen 2002 und 2009 aufgezeichneten Interviews über ihr Leben - das zeichnet diesen dicken, spannenden Memoiren-Schmöker aus. «Alles verändert sich. Nichts bleibt gültig», sagt wie als Schlusswort der inzwischen verstorbene Horst Drinda. Und in dieser Veränderung sah er auch eine Chance.
Dpa, 24.08.2009
Elke Vogel

Wenn Schauspieler sich erinnern

Heidi Jäger
In "Der ungeteilte Himmel" sprechen 19 Schauspieler über den Wechsel in ein fremdes Land

Babelsberg - "Ufa-Nasen" nenn er sie, die Regisseure der DEFA. Kaum einer kommt gut bei ihm weg auch nicht die Kollegen vom Theater. Mit boshaft schönen Formulierungen führt Eberhard Esche Eitelkeit und Mittelmaß vor, redet sich alles von der Seele, was ihn in seinem Künstlerleben auf die Palme brachte. Er ist der einzige, der so respektlos die Kollegen aufs Korn nimmt. Die Reaktionen darauf muss er nicht mehr aushalten. Vor drei Jahren starb der Mime, der am Deutschen Theater für große Abende sorgte. Esche ist einer von 19 Schauspielern aus der DDR, die Ingrid Poss und Peter Warnecke in ihrem vom Filmmuseum Potsdam herausgegebenen Buch "Der ungeteilte Himmel" zu Worte kommen lassen. "Alle anderen waren sehr zurückhaltend. Somit ist es auch kein Klatschbuch geworden", sagt Peter Warnecke. Zusammen mit Ingrid Poss hat er die Schauspieler nach ihrem privaten Leben und dem auf der Bühne und im Film befragt. Eigentlich waren die Gespräche als Hintergrundmaterial für die neue Dauerausstellung im Filmmuseum gedacht. "Die Buchidee kam erst später. Wir ließen immer Korrekturen zu, so dass jeder mit seinem Porträt leben konnte," sagt Warnecke. Die Schauspieler Peter Reusse und Ezard Haußmann redigierten ihre Manuskripte selbst, Jutta Wachowiak zog ihres zurück. Gespräche mit Anja Kling oder Jörg Schüttauf kamen erst im vergangenen Jahr dazu. Das Buch zeichnet mit den unterschiedlichsten Biografien ein Stück Zeitgeschichte nach. Der Mime Jaecki Schwarz hinterfragt in seinem Porträt das vielgepriesene Künstlereldorado DDR. Die in den 70er Jahren eingeführte Unkündbarkeit der Theaterschauspieler sei zwar sozial richtig, künstlerisch aber falsch gewesen: "Du musstest immer warten, bis jemand stirbt, damit es Vakanzen gab." Viele Schauspieler, gingen 1989 für eine andere DDR auf die Straße: "Aber Fakt ist, dass sie in ihrer schuldigen Unschuld auf dem Alexanderplatz demonstrierten, um ihre Theater und damit sich selbst abzuschaffen -das konnten sie damals sicher nicht wissen. Ich konnte es ahnen", sagte Eberhard Esche.
Auch Rolf Hoppe, der mit Istvän Szabö "Mephisto" drehte und dafür den Oscar bekam, konnte nach 1989 seinen Anspruch nicht mehr halten. "Ich musste Geld verdienen und habe mich in Serien verdingt, was ich nie machen wollte." Heute hat er bei Dresden sein eigenes Theater, das er noch immer als moralische Anstalt sieht. "Theater ist eine großartige Erfindung." Er wird weiter spielen, den Menschen den Spiegel vorhalten. Egal, wie die Zeiten sind.
In: Potsdam am Sonntag, 30.08.2009

Wie in der Fremde

Karl-H. Walloch
Mit dem Zusammenbruch der DDR wurde auch das Gefüge der Theater, der DEFA-Studios und des Fernsehens zerstört. Die Schauspieler des Landes wurden zu Heimatlosen - ähnlich wie durch eine Emigration in ein anderes Land, wo sie niemand kennt. DEFA-Filme oder die Filme des DDR-Fernsehens waren im Westen nahezu unbekannt.
Ingrid Poss und Peter Warnecke haben bei 19 Schauspielerinnen und Schauspielern nachgefragt und legen hier die Ergebnisse vor. Teilweise wurde die Arbeit aus Mitteln der DEFA-Stiftung finanziert. Nach dem Geburtsdatum der Protagonisten beginnt das Buch mit Inge Keller und endet mit Anja Kling. Ihnen erging es nach der »Wende« nicht wesentlich anders als Millionen anderer Menschen. Über Nacht war vieles, was sie einmal gelernt und unter Schwierigkeiten erarbeitet hatten, wertlos. Wer sich nicht mit Hurra selber wendete, litt darunter, nicht mehr gefragt zu sein. So büßten sie dafür, daß sie Bürger der DDR gewesen waren.
Kultur verlor an Wert. Nicht nur den Theatern, auch den Kinos kam das Publikum abhanden; ruiniert wurde auch das Bücherland. Große Teile der Buchproduktion wurden verramscht oder einfach auf Müllhalden entsorgt. Zur Eröffnung von Kunstausstellungen kamen nur noch wenige Interessierte. Die »freie Welt« lockte die Ostdeutschen zum großen Abenteuer, das aber viele schnell ernüchterte, zumal sie die Erfahrung machen mußten, daß Reisen nicht nur bildet, sondern auch kostet.
Die im Westen Deutschlands unbekannten Schauspieler mußten wie Eleven mit Vorsprechen von vom beginnen - auch die, die an großen Bühnen der DDR unter Regisseuren wie Wolfgang Heinz und Wolfgang Langhoff gearbeitet oder in Filmen von Konrad Wolf mitgespielt hatten. So wurden aus Profis wieder Anfänger. Nach solchen Erfahrungen besannen sie sich schon in der ersten Hälfte der neunziger Jahre auf ihre »Regionalkultur«, die von gründlicher Ausbildung, sorgfältiger Probenarbeit, humanistischem Anspruch und einem gelebten Ensemblegeist geprägt war. Eine Rückkehr war allerdings kaum möglich, die materiellen Grundlagen fehlten. Ihr Können hat jedoch manchen inzwischen geholfen, ihren Beruf weiter ausüben zu können und wieder in der Öffentlichkeit zu stehen, Enttäuschungen zu überwinden und auch viele private Veränderungen zu meistern.
In: Ossietzky, Heft 20/2009

Filmriss!

Katrin Koch
So überstanden die DDR-Stars die Wende

Der Profi wurde zum Anfänger, der Gott zum Niemand - so erfuhren viele DDR-Stars den Mauerfall. 19 DDR-Schauspieler erzählen in dem neuen Buch "Der ungeteilte Himmel" (neues leben, 19,90 Euro) über ihre Arbeit in der DDR und im wieder vereinten Deutschland. Ikonen wie Inge Keller, Rolf Hoppe, Alfred Müller, Eberhard Esche - so sehen & sahen sie die Wende.
Rolf Hoppe (78): "Im Herbst 1989 war ich in Dresden. Ich war bei den Demonstrationen immer dabei, aber im Grunde genommen habe ich meine Kinder gesucht, weil ich Angst hatte, dass ihnen etwas passiert." Für Hoppe ging es auch nach der Wende weiter: "Natürlich hat man mir nahegelegt, dass ich in Rente, gehen sollte, weil ich ja ein DEFA-Schauspieler war, aber das lehnte ich ab nach der Devise: Wer arbeiten will, bekommt Arbeit."
Ursula Werner (65) erinnert sich, dass viele Schauspieler 1989 für eine andere DDR auf die Straße gingen. "Ich dachte wirklich, wenn man die DDR ein bisschen aufklappt und die Leute rauslässt, damit sie selbst sehen, was gehauen und gestochen ist, kann man das Land reformieren."
"Aber Fakt ist, sie haben am Alex demonstriert um sich und ihr Theater abzuschaffen«, hält Eberhard Esche (1933-2006) entgegen Er resümiert: Ich habe mir nicht vorgestellt, stellt, dass das große Ereignis, Sozialismus auf Erden zu bringen. damit auch die Armen die Chance haben, reich zu werden, so sang- und klanglos erlischt."
Die Bilanz von Alfred Müller (82): "Zwei Begriffe haben mich in meinem Leben umgehauen. Einen hörte ich im Krieg bei einem Gespräch zwischen zwei Offizieren über uns, den letzten Nachschub: Das ist doch hervorragendes Menschenmaterial. Nach der Wende kam dann der Spruch über den Marktwert, bezogen auf den Menschen, dazu."
Simone Frost (51) erinnert sich: "Film und Fernsehen waren schlagartig vorbei Im Theater 89 konnte ich zwar spielen, aber ohne Bezahlung. Am Anfang spielten wir für umsonst, weil wir feste Engagements hatten: Aber für 100 Mark zu arbeiten war dann schon hart Nach einem halben Jahr hatte ich mich richtig verschuldet. Die Gage war aufgefressen und ich borgte mir nur noch Geld."
"Der ungeteilte Himmel" beeindruckt mit großer Offenheit. DEFA-Stars zeigen sich von einer ganz anderen Seite, offenbaren Ängste und Enttäuschungen. Lesenswert!
In: Morgenpost, Dresden, Chemnitz, 01.09.2009

"Es war ganz und ganz klein und ganz gemütlich"

Uta Trinks
Schauspieler aus der DDR erzählen aus ihrem Leben und zeichnen zugleich ein differenziertes Bild vom Osten Deutschlands

"Als dann die Wende kam, wusste ich, jetzt ist wieder alles so wie zu Vaters Zeiten", erinnert sich Alfred Müller, Jahrgang 1926. Hoffnungslosigkeit ergriff. ihn. Ein "ziemlicher Durchhänger" schloss sich an. Ganz anders stellt sich das für Anja Kling dar. 1970 geboren, resümiert sie: "Ansonsten bin ich froh, das es so gekommen ist, für mich hat sich alles nur verbessert." So unterschiedlich diese Rückblicke sind, eint diese beiden doch, dass sie Mimen in dem kleinen vor 20 Jahren untergegangenen Land waren. Sie und 17 weitere Schauspieler aus der DDR erzählen in dem dicken Band "Der ungeteilte Himmel" aus ihrem Leben. Die Anspielung des Buchtitels an Christa Wolfs berühmten Roman "Der geteilte Himmel" kommt nicht von ungefähr, denn die Sammlung von Lebensbildern, basierend auf intensiven Interviews, ist ein Schwerpunkttitel des Verlages Neues Leben zum Jubiläum des Mauerfalls.
Ingrid Poss und Peter Warnecke haben zwischen 2002 und 2008 nicht nur nach DDR- und Wendeerfahrungen gefragt. Die standen aber zweifellos im Mittelpunkt, als sie prominente Darsteller aus dem Osten Deutschlands baten, ihre Karrieren Revue passieren zu lassen. Beginnend mit der Grande Dame des Deutschen Theaters in Berlin Inge Keller. 1923 in Berlin geboren, war sie ab 1943 am Freiberger Theater engagiert, das damals als Talenteschmiede einen guten Ruf hatte. Anja Kling ist die letzte der nach Jahrgängen geordneten Reihe. Und so ist es nur selbstverständlich, dass nicht zuletzt der Generationenunterschied vielfältige und spannende Sichten auf eine Zeitspanne von den 1920er Jahren bis in die Gegenwart birgt - mal bitter, melancholisch, mal respektlos und ironisch.
Diese Lebensberichte eröffnen dem Leser viele Blicke hinter die Kulissen der Theater- und Filmlandschaft in der DDR. Mag sein, dass trotz Glossar nicht jeder hinter alle Anspielungen steigt. Doch wie DDR-Künstler in Zwänge gerieten, daran scheiterten oder ihre Nischen suchten, erschließt sich wohl. Rolf Hoppe etwa war glücklich in den Enklaven Theater und DEFA. Der 2006 verstorbene Eberhard Esche beklagte den Verfall der Ansprüche und Maßstäbe nach der Wende, Ezard Haußmann bezahlte einen politischen Protest in der DDR mit einer Arbeits-"Zwangspause" von 1969 bis circa 1989 - bei vollem Gehalt. Für Peter Reusse lief in der DDR "alles nach Schablone" ab: "Es war ganz eng und ganz klein und ganz gemütlich."
Der 1961 in Karl-Marx-Stadt geborene Jörg Schüttauf spricht von einem "goldenen Käfig Theater", und wenn sich Michael Gwisdek an seine Zeit in der Stadt erinnert, dann werden die heute noch legendären Jahre des hiesigen Schauspiels, verbunden mit Namen wie Jutta Wachowiak, Jörg Gudzuhn, Christian Grashof, Uwe Kockisch, wieder lebendig: "Aber in Karl-Marx-Stadt erfanden wir von früh bis spät die Schauspielerei neu. Das war eine Intensität am Theater..."
Nur zu gern werden heute Klischees bemüht, wie das Leben in der DDR gewesen sei. In der Zusammenschau dieses Buches entsteht für den Leser ein differenziertes Bild von jenen Jahren und von den Menschen, die als Mimen zum Leben der Ostdeutschen dazugehörten.
In: Freie Presse, Chemnitz, 06.11.2009

Erzählt: Schauspieler aus der DDR über ihre Karriere vor und nach der Wende

Frank Quiilitzsch
Der Profi wird zum Anfänger, der Gott zu einem Niemand: So mag der eine oder andere in der DDR gefeierte Theater- und Filmstar empfunden haben, als ihm 1990 plötzlich der Bühnen- und Studioboden unter den Füßen wegbrach. Etlichen erging es im vereinigten Deutschland wie der damals 32-jährigen, am Berliner Ensemble engagierter Simone Frost, die in der Verfilmung von Brigitte Reimanns Roman "Franziska Linkerhand" die Hauptrolle gespielt hat: "Niemand interessiert sich noch für dich." Ursula Werner erinnert daran, dass im Herbst 1989 viele Schauspieler für eine "andere DDR" auf die Straße gegangen sind. "Aber Fakt ist", kontert Eberhard Esche sarkastisch, "sie haben am Alex demonstriert, um sich und ihr Theater abzuschaffen."
Dass dieses Pauschalurteil nicht zutrifft, dokumentiert eindrucksvoll der Band "Der ungeteilte Himmel", in dem 19 Gespräche mit renommierten Schauspielern aus der DDR gesammelt sind. Die Älteste, Inge Keller, wird im Dezember 86, die Jüngste, Anja Kling, im März nächsten Jahres 40. Die Grande Dame des Ostens ist heute Ehrenmitglied des Deutschen Theaters Berlin, das "Nesthäkchen" - zur Wende gerade mal 19 - tritt jetzt im Fernsehen mit Götz George auf. Mit dem Titel ihres Buches spielen die Interviewer auf die DEFA-Verfilmung von Christa Wolfs Roman "Der geteilte Himmel" von 1965 an, zumal er auch die Lebensgeschichten beider Protagonisten - Renate Blume und Eberhard Esche - enthält. Dieses Buch ist eine wahre Fundgrube, weil es die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands in exemplarischen Künstlerbiografien erzählt, an große, international gefeierte Aufführungen der ostdeutschen Theater und viele in den DEFA-Studios gedrehte Filme erinnert, die mit zu den besten des gesamtdeutschen Erbes gehören. Die Autoren sind mit der Materie eng vertraut: Peter Warnecke hat als promovierter Medienwissenschaftler und Kurator des Filmmuseums Potsdam die Archive gesichtet. Ingrid Poss, die ab 1969 im DEFA-Studio für Dokumentarfilme und seit 1985 als Regisseurin der Fernsehsendung "Treffpunkt Kino" tätig war, drehte in den 90er Jahren unter anderem die Dokumentation "Tabula rasa. 8 Verbotsfilme der DEFA aus den Jahren 1965/66 und ihre Regisseure". Gemeinsam haben die beiden bereits 2006 den Band "Spur der Filme - Zeitzeugen über die DEFA" veröffentlicht.
Erfolge und Niederlagen, Euphorie und Enttäuschungen gibt es in jedem Schauspielerleben, egal in welcher Himmelsrichtung das Theater verortet ist. Aus den Biografien erfährt der Leser aber auch Spezifisches über die Ausbildungsformen und den Ensemblegeist an den DDR-Theatern sowie über die Versuche vonseiten des Staates, Einfluss auf die Spielpläne der Bühnen zu nehmen, und das Verbot stark gesellschaftskritischer Kino- und Fernsehfilme. Einhellig wird die hohe künstlerische Qualität der DDR-Theater hervorgehoben, an denen international geachtete Regisseure wie Bertolt Brecht, Helene Weigel, Benno Besson, Adolf Dresen, Heiner Müller; Thomas Langhoff oder Alexander Lang arbeiteten. Dieter Mann, der in jungen Jahren 300 Mal als Edgar Wibeau in Plenzdorfs "Die neuen Leiden des jungen W." auf der Bühne gestanden hat, sorgte später als Intendant dafür, dass das Deutsche Theater nach der Wende keinen Schaden nahm.
Und was für Biografien! Michael Gwisdek, ein Draufgänger, der Horst Buchholz aus den "Glorreichen Sieben" nacheifern wollte, steigt zum Charakterdarsteller in "Der Tangospieler" und "Nachtgestalten" auf. Ezard Haußmann, dessen Vater bei der Ufa gespielt hat, wird ab 1993 von seinem Sohn Leander in Berlin, Bochum und am Wiener Burgtheater besetzt. Die vor wenigen Wochen verstorbene Simone Frost hebt in Berlin das Theater 89 aus der Taufe und glänzt als Mutter Gretschke in Oliver Bukowskis "London-L.Ä.-Lübbenau". Rolf Hoppe, DEFA-Bösewicht vom Dienst und Oscar-prämiert als Nazi-General in István Szabós Film "Mephisto", gründet 1999 im sächsischen Weißig sein eigenes Hoftheater Der 30 Jahre jüngere Jörg Schüttauf, Hauptdarsteller in Egon Günthers '92er Büchner-Verfilmung "Lenz", nennt das DDR-Theater einen "goldenen Käfig": "Wir hatten einen spielerischen Beruf im wahrsten Sinne des Wortes und - wenn wir auch keine Reisefreiheit hatten - die Freiheit zu denken und zu sagen, was wir wollten. Wir konnten es oben auf der Bühne aussprechen oder es zumindest zwischen den Zeilen so formulieren oder betonen, dass jeder wusste, was gemeint war." Verständlich, dass viele Trauer und Zorn über die Abwicklung der DEFA-Studios empfinden, denn diese boten zu DDR-Zeiten auch manchem politisch in Ungnade gefallenen Schauspieler oder Regisseur eine Nische und die Chance zu fortgesetztem künstlerischem Engagement. "Hier ging es um Geld, Arbeitsplätze und eine Konkurrenz, die weg musste", glaubt Gwisdek und sieht die Möglichkeit, ein europäisches Filmstudio zu schaffen, vorsätzlich vertan.
"Man konnte sich ausrechnen, dass die DEFA nach dem Prinzip des Kapitalismus nicht so weiter funktionieren kann", meint auch Jaecki Schwarz, heute als "Polizeiruf 110"-Kommissar Schmücke einem gesamtdeutschen Publikum bekannt. "Aber dass alles zerstört und vergessen und gar nicht mehr erwähnt wird ..." Vergessen wird es nicht. Zumindest dieses Buch bewahrt die kollektive Erinnerung an ein abgeschlossenes Kapitel deutscher Theater- und Filmgeschichte.
In: Thüringische Landeszeitung, 06.11.2009

Leben, Arbeit, Träume und Politik

Ralf Schenk
»Der ungeteilte Himmel« - Schauspieler aus der DDR erzählen
Von der Geschichte des Vergessens in Sachen DDR schreibt Bärbel Dalichow, Direktorin des Potsdamer Filmmuseums, im Geleitwort. »Das abgewirtschaftete Land, so das durchgesetzte, öffentlich kommunizierte Urteil, war nichts, hat nichts und bringt nichts, außer Schulden und verängstigte Neubürger als Konsumenten.« Die Meinung mag, vor allem im westlichen Deutschland überwiegen, aber niemand muss sie schweigend hinnehmen; jeder ernst gemeinte Versuch, die letzten Jahrzehnte differenziert zu befragen, trägt ein bisschen dazu bei, dass nicht alles verdrängt und vergessen wird.
Zum Beispiel die Kunst »unserer« Schauspielerinnen und Schauspieler. Neunzehn Mimen, geboren zwischen 1923 und 1970, standen für dieses Buch Rede und Antwort; aus den Gesprächen haben die Interviewer Ingrid Poss, Margit Voss und Hans-Dieter Schütt die Fragen getilgt: Die Erzählungen von Leben und Arbeit Träumen und Taten wurden auf diese Weise zu einem langen, schönen Fluss verdichtet. Neben allen theater- und filmhistorischen Reminiszenzen ist dies ein sehr politisches Buch. Für Inge Keller, die den Reigen eröffnet, war es eine Offenbarung, was der greise Eduard von Winterstein 1945 von seinem Berufsstand forderte: »Kümmert Euch um Politik, sonst kümmert sich die Politik um Euch!« Vieles, was fortan in Theatern und Ateliers passierte, hatte genau damit zu tun. Und 1989 waren es Schauspieler der Berliner Bühnen, die zur großen November-Demonstration aufriefen: Peter Reusse erzählt davon, auch Ursula Werner und Eberhard Esche, dem das gar nicht gefiel und der von der »schuldigen Unschuld« seiner Kollegen spricht, die sich »politisch wie die Kinder« verhalten hätten.
Die Texte sind so unterschiedlich wie die, auf deren Erlebnissen sie fußen: mal abgeklärt, mal grüblerisch oder sarkastisch, manchmal eitel, selten geschwätzig. Homestorys aus dem Privatleben gibt es nicht, dafür kluge Reflexionen über berufliche und gesellschaftliche Entwicklungen. Immer wieder wird an Menschen erinnert, die prägend für die eigene Kunst waren: Langhoff und Besson, Konrad Wolf, Egon Günther. Hermann Beyer lässt uns von seinen Hoffnungen und Selbstzweifeln wissen, gestern und heute. Dieter Mann und Michael Gwisdek plaudern mit forscher Unbekümmertheit; Alfred Müller lehnt sich entspannt zurück, wenn er erklärt, dass er sich mit über Achtzig berechtigten Stolz leistet: »Wer mich aus der Rente herausholen will, muss mir das bieten, was mir gefällt. Ich putze keine Klinken für etwas, hinter dem ich nicht stehe.«
Die Erfahrung, plötzlich nicht mehr gekannt zu werden, teilen viele: Westdeutsche Produzenten und Redakteure, die plötzlich fast nur noch das Sagen hatten, konnten selbst mit den Namen der bekanntesten DDR-Mimen nichts anfangen. Dennoch wird das Vergangene im Buch nicht verklärt - wohl aber die Gegenwart an dem gemessen, was damals war.
Der Vergleich der Arbeitsbedingungen zieht sich wie ein roter Faden durch die Texte. Immer wieder Verbeugung vor Intendanten und Regisseuren, die sich Gedanken über die Entwicklung ihrer Schauspieler machten. Hohes Lob für den Ensemblegeist, der inzwischen meist verloren ging. Stattdessen, so die kürzlich verstorbene Simone Frost: »Jeder rennt für sich durch die Welt und sieht zu, dass er nicht untergeht.« Renate Blume gibt ihrer Sorge Ausdruck, dass der Beruf jetzt nichts mehr wert sein könnte, weil er »kein Ziel, keinen Anspruch und keinen Bildungsauftrag mehr hat«. Auch Jörg Gudzuhn konstatiert eine »allgemeine Orientierungslosigkeit in der Frage, wozu Theater da ist«. - Zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR fordert dieses Buch dazu auf, innezuhalten und nicht nur nach dem Kunstprodukt, sondern auch nach den Prozessen seiner Entstehung zu fragen: Was bedeutete es, sich Zeit nehmen zu dürfen? Wie eng verflochten waren Kunst und Leben, Spiel und Gesellschaft? Jörg Schüttauf: »Das Wunderbare war, dass wir am Theater auch denken durften und sollten.« Ein Privileg, vom Tempo der neuen Zeit beinahe hinweggewischt.
Die Freude am Erinnern und Sinnieren wird zum Glück nur selten durch Fehler getrübt. »Die Verlobte« ist eben nicht nur Günther Rückers, sondern auch Günter Reischs Werk. Frank Beyers »Rottenknechte« war kein Gegenwartsfilm, und »Burning Life« ist kein DEFA-Film. Der Gefängniswärter in der »Fledermaus« heißt Frosch; das Gefängnis der Nationalen Volksarmee lag in Schwedt. Und schließlich: Bei der Verfilmung von Strittmatters »Laden« führte Jo Baier zwar Regie, aber das Drehbuch stammt von Ulrich Plenzdorf. Das sollte in der 2. Auflage verbessert werden. Und die kommt bestimmt.
In: Neues Deutschland, 28./29.11.2009