22. Februar - 5. Oktober 2008
Michael Ende zählt zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Nachkriegszeit. Fast jedes Kind kennt Die Unendliche Geschichte, Jim Knopf und Momo - nicht nur aus Büchern. Endes sympathische Helden sind allgegenwärtig, ihre Verwandlung und Verwertung ist erstaunlich: Sie erscheinen in Kino und Fernsehen, auf der Theaterbühne, als Zeichentrickfiguren, als Marionetten, im Hörspiel oder als Musicalfiguren. Die Ausstellung und das begleitende Buch beleuchteten neben den biographischen Prägungen des Autors vor allem dessen Schreiben und die vielfältigen Genres, in die sein Werk Eingang fanden. Auch das Ringen des Künstlers um den Kern seiner Ideenwelt, deren Verformung er sich entschieden widersetzte, wurde dokumentiert.
Kinderführungen und Workshops erschlossenen den jüngsten Besuchern Endes magische Welt. Der gleichnamige Katalog erschien im Henschelverlag Berlin. Die Ausstellung, vom Deutschen Theatermuseum München konzipiert, war für Potsdam ergänzt und neu gestaltet worden.
Kuratorinnen: Petra Hebeisen, Heike Jahnz (Theatermuseum München), Ugla Gräf (FMP)
Plakat: h neun, Berlin
Katalog: Roman Hocke (Rom), Uwe Neumahr (München)
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Blick in die Ausstellung (Foto: J. Leopold und U. Gräf)
Rettet Phantásien!
«Es gibt neben der Umweltzerstörung, die als Tatsache heute jedem bekannt ist, noch ein anderes Phänomen, das ebenso erschreckende und verheerende Folgen zeitigt, das aber weit weniger ins allgemeine Bewusstsein gedrungen ist: die Zerstörung und Verschmutzung der Innenwelt des Menschen.» (M.E.)
1983 distanzierte Michael Ende sich öffentlich von der Verfilmung seines Romans «Die unendliche Geschichte» und beschwor die Filmemacher, den Grundgedanken seines Buches nicht technischen Effekten und vollen Kinokassen zu opfern. Wie der Romanheld Bastian dem sich machtvoll ausbreitenden Nichts kraft seines kreativen Gestaltungswillens Einhalt gebietet, so können wir Menschen, war Ende überzeugt, «aus den tiefsten Tiefen unseres Wesens alle unsere schöpferischen Kräfte aufrufen und ein neues "Phantásien" schaffen» - eine reiche, freie und kreative, von Zwängen unabhängige Innenwelt als Gegengewicht zu unserer rationalen, auf Zweckmäßigkeit und Effizienz orientierten äußeren Welt. Der Streit zwischen Autor und Filmproduktion ist legendär, nachzulesen war er in der Potsdamer Ausstellung «Michael Ende - Magische Welten» .
Michael Endes Ausflüge in die wenig rücksichtsvolle Welt der Filmproduktion waren kurz und überwiegend schmerzhaft, für einen erneuten Versuch reichte ihm die Lebenszeit nicht. Auch wenn er trotz erlittener Enttäuschungen dem Medium Film zugewandt blieb - sein Herz hatte er bereits früh an eine andere Kunstform verloren: das Theater. Ende glaubte an dessen magische Qualität. In jener frühen Zeit liegen die Wurzeln seiner künstlerischen Weltsicht.
Nach dem Krieg wurde Ende Schauspieler, um das Theaterhandwerk von der Pike auf zu erlernen und eines Tages als Dramatiker sein Geld zu verdienen. Zunächst war ihm nur bescheidener Erfolg vergönnt, als Schauspieler wie als Stückeschreiber hob er die Welt fürs Erste nicht aus den Angeln. Während der Ausbildung war er für die Theaterkonzeption Bertolt Brechts entflammt und diese Leidenschaft - «nur so und nicht anders kann man modernes Theater machen» - brachte ihm Mitte der 1950er Jahre eine ernsthafte Schaffenskrise ein: Als Ende sich die kritisch-didaktische Haltung des Brecht-Theaters zu eigen machen wollte, stieß er an seine schöpferische Grenze. Er hörte auf, Theaterstücke zu schreiben und hielt sich eine Zeit lang mit Filmkritiken, Faschingsschwänken und Kurzgeschichten über Wasser.
Doch Ende war von Kindheit an zu einem Bewohner «Phantásiens» erzogen worden, sein Elternhaus hatte dafür gesorgt. Vorbild war ihm stets der Vater, Edgar Ende, der allen Widrigkeiten zum Trotz seine eigenwilligen, surrealen Traumilder malte, ob er sie verkaufen konnte oder nicht. Auch dann noch, als ihn die Reichskulturkammer 1936 mit Berufsverbot belegte. Der Vater lebte dem Sohn vor, dass der Drang nach künstlerischem Ausdruck existenziell ist.
So gab nun auch der junge Ende nicht auf, als er in der künstlerischen Krise steckte, sondern gewann aus ihr neue Kraft. Er entschloss sich, einen anderen Weg zu gehen als sein Lehrmeister Brecht. Im Lauf der Jahre entwickelte er sein Konzept eines Magischen Theaters, das der Schlüssel für all seine Arbeiten als Autor ist, sowohl für die Theatertexte als auch für die Prosa: Theater soll verzaubern, ein Ort der Imagination sein, an dem sich der Zuschauer in die Figuren einfühlen und mit ihnen träumen und leiden kann; Aufklären und Belehren gehören, so der emanzipierte Schüler Ende, ausdrücklich nicht zu den Aufgaben des Theaters.
Den ersten überwältigenden Erfolg erlebte der Autor jedoch nicht auf der Bühne. Eine freundliche Fügung ließ Michael Ende 1956 auf einen ehemaligen Schulfreund treffen, der inzwischen als Grafiker arbeitete und ihn bat, einen kurzen Text für ein Bilderbuch zu schreiben. Und schon wieder eine Legende, sehr zu Herzen gehend: Ende setzte sich also an seine Schreibmaschine, ohne jeglichen Plan für eine Geschichte, und tippte den ersten Satz, dem bis heute zwanzig Millionen verkaufte Bücher weltweit folgen sollten: «Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, war nur sehr klein.» Es war der Anfang seines fünfhundert Seiten starken «Jim Knopf»-Romans, mit dem sich der Autor aus der Schaffenskrise befreite; mit diesem Satz empfing die Potsdamer Ausstellung ihre Gäste und bot reichlich Gelegenheiten zum Weiterlesen. Bis heute ist das Buch eines der meistgelesenen deutschen Kinderbücher; dass es aber nicht nur Kinder anspricht, weiß jeder Erwachsene, der es jemals Kindern vorgelesen hat: Es hält uns im Bann mit seiner vermeintlich einfachen und doch so reichen Sprache, mit Einfällen, die aus dem Traum- und Alptraumreservoir der menschlichen Spezies gespeist sind, mit hintersinnigen Bezügen und ebensolchem Humor und durch die Tatsache, dass die Geschichte neben aller Phantastik mit jedem Satz auf unser wirkliches Leben zurückweist, auf dessen Unzulänglichkeiten - und wie schön es sein könnte, würden wir sie überwinden.
«Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer» war der Auftakt, und alles, was folgte, wurde zur Einladung Michael Endes an seine Leser und Zuschauer, bei der Rettung «Phantásiens» mitzutun: die Stücke fürs Theater und die Puppenbühne, die Opern, die Kinderbücher und die Texte für Erwachsene und nicht zuletzt die Romane «Momo», «Die unendliche Geschichte» und «Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch».
Ausstellung und Begleitbuch öffneten den Blick dafür, wie leidenschaftlich Michael Ende für sein Theater und seine Texte gekämpft hat und wie sehr er Mitstreiter für seine Sache zu begeistern vermochte. Bis heute inspirieren seine Geschichten das Theater im besonderen Maße und finden wiederum auf der Bühne ihren adäquaten Ausdruck. Die fantastischen Geschöpfe, die das Potsdamer Filmmuseum bevölkerten, sind schönstes Zeugnis dafür: zwei Glücksdrachen aus Opernaufführungen der «Unendlichen Geschichte», die Gnome Engywuck und Urgl sowie bizarre «phantásische» Wesen, Tyrannia Vamperl und Beelzebub Irrwitzer aus dem «Wunschpunsch» als Marionetten und als lebensgroße Klappmaulfiguren, des weiteren gab es graue Herren, das Nashorn Norbert Nackendick und natürlich Jim Knopf und Lukas den Lokomotivführer. Auch Kinder konnten sich durch die Ausstellung lesen, kleine Zeichnungen führten sie auf den Weg durch die Geschichten. Altertümliche Schreibmaschinen warteten auf fantastische Einfälle der Besucher. Und natürlich sollten Eltern und Großeltern sich die Zeit zum Vorlesen nehmen, denn so muss es sein, wenn wir «Phantásien» retten wollen ...