Internationaler Workshop AGFA/ORWO

Zeichnung: Laura Congiu
Bericht zum internationalen Workshop "Töne aus der Mangelwirtschaft: Magnetband-Erzeugnisse von AGFA/ORWO"
Filmmuseum Potsdam, 2.10.2020

Von Dr. David Pfluger

Der Workshop fand unter Covid-19-Sicherheitsvorkehrungen im Kinosaal des Filmmuseum Potsdam statt. Es waren etwa 30 Personen anwesend und ca. 60 weitere nahmen via Zoom teil. Die technische Seite funktionierte gut, trotz der relativ hohen Komplexität der Anordnung. Dennoch war der gegenseitige Austausch aufgrund der Sicherheitsvorkehrungen etwas eingeschränkt und nicht so intensiv wie wenn alle Teilnehmer unter normalen Bedingungen vor Ort gewesen wären.
Das Ziel des Workshops war es, sich auszutauschen und Ideen und Konzepte zu sammeln für ein Forschungsprojekt, das den Fokus auf Magnetbänder und Magnetfilme (Sepmags) der frühen AGFA und späteren ORWO legt. Die kurzen Input-Referate waren nach den Themen Forschung und Entwicklung, Konservierung, Digitalisierung und Infrastruktur gegliedert. Nach jedem Referat gab es Zeit für Fragen und Anmerkungen und zum Schluss wurde zusätzlich im Panel diskutiert.

Josephine Diecke (Filmwissenschafterin, Universität Zürich) und Siobhan Piekarek (Konservatorin, Filmmuseum Potsdam) sprachen zum Thema der Forschung an Magnetbändern am Filmmuseum Potsdam. Im Sommer 2018 wurde dort ein Forschungsprojekt zum Bestand an Magnetbändern durchgeführt (www.filmmuseum-potsdam.de/ORWO-Magnetton.html). Es stellte sich heraus, dass die AV-Sammlung zu 90% aus AGFA und ORWO-Bändern besteht. Der Geruch von AGFA/ORWO-Material ist auffallend und den Materialien eigen. Bei einer Luftmessung im Archiv wurden chlorhaltige Substanzen sowie zyklische Aromaten festgestellt. Über die genaue Zusammensetzung der Magnetbänder sowie die im Herstellungsprozess verwendeten Substanzen ist weiterhin nicht genug bekannt. Inwiefern beispielsweise der Geruch Identifikationshilfe sein kann oder darauf hinweist, dass sich die Bänder in einem fortgeschrittenen Stadium des Zerfalls befinden, ist noch zu erforschen.

Jonáš Kucharský (Curator of Music and Sound, Národní Filmový Archiv, Prag) und Konstantin Wiesinger (AV-Archivar, Sächsisches Staatsarchiv, Wermsdorf) sprachen zum Thema der Konservierung von Magnetfilm.
In der Tschechischen Republik wurde Magnetfilm seit den späten 1940er Jahren verwendet. Viele Inhalte wurden aus ökonomischen Gründen überspielt und somit zerstört. Es wurde den Aufnahmen damals offenbar keine Qualität oder Wichtigkeit zugesprochen, die ihnen einen Archivstatus gegeben hätte. In der Datenbank des Národní Filmový Archivs wurden Informationen zum Sepmag-Bestand auch nur unvollständig zusammengetragen. Das Archiv besitzt einige 1000 Kisten (!), die noch nicht untersucht sind. Dazu kommen Elemente, die bei privaten Sammlern liegen, welche normalerweise unter schlechten Bedingungen gelagert sind.
Um Trägermaterialien zu identifizieren werden verschiedene Tests gemacht, die alle ein unsicheres Ergebnis liefern: Geruch, Transparenz der Filmrolle, Reißfestigkeit, Polarisationsfiltertest. Wenn die Mehrheit der Tests in eine bestimmte Richtung weist, so wird der Träger als identifiziert angesehen.

Konstantin Wiesinger wies darauf hin, dass offenbar das Problem mit dem Essigsäuresyndrom bei Sepmags historisch nicht genug ernst genommen wurde.
Sepmag basiert öfter auf Azetatfilm als Audiobänder. Beim Filmbild auf Azetatbasis wirkt die Gelatine als chemischer Puffer, der den Effekt des Essigs für eine gewisse Zeit ausgleicht. Die Magnetschicht des Sepmags hat die gegenteilige Wirkung. Die Frage wurde in den Raum gestellt ob Kartonhüllen "nützlich" sind, um das Essigsäuresyndrom hinauszuzögern, da sie ebenfalls für eine bestimmte Zeit Essigsäure absorbieren können.
Wiesinger demonstrierte anhand eines eindrücklichen Beispiels die bessere Tonqualität von Commags im Vergleich zu Lichtton. Die Endmischung eines Filmtons auf Sepmag, die oft für die Produktion des Lichttons verwendet wurde, liefert die beste Tonqualität. Es stellt sich jedoch dieselbe Frage wie bei Bildnegativen: Darf man ein Element für die restaurierte Fassung eines Films verwenden, das besser ist als die Tonqualität die damals in der Vorführung zu hören war?

Oliver Danner (Spezialist für Tondigitalisierung, Berlin) und Nadja Wallaszkovits, (Professorin für die Konservierung und Restaurierung von neuen Medien und digitalen Informationen, Phonogrammarchiv, Wien) sprachen zum Thema der Digitalisierung. Im Gegensatz zur Digitalisierung des optischen Tons oder des Filmbilds spielt beim Lesen von Magnetbändern der direkte Kontakt des Lesekopfes mit der Magnetoberfläche eine zentrale Rolle. Danner wies darauf hin, dass das Essigsäuresyndrom, das Austreten von Weichmachern sowie das Auslaufen von Gleitmitteln die wichtigsten Gründe für Schrumpfung, Verwinden und Verwellen sowie Materialbrüchigkeit bei Magnetbändern sind. Diese Faktoren spielen eine zentrale Rolle, wenn es um Probleme mit dem Kontakt das Tonkopfes mit dem Band geht. Bei verwundenem Material kann eine Gummirolle verwendet werden, die den Magnetfilm an den Tonkopf presst. Das verstärkt das Problem von Wow und Flutter (nieder- und hochfrequente Abweichungen in der Wiedergabegeschwindigkeit eines aufgezeichneten Signals), ergibt schlussendlich aber bessere Resultate als ohne. Das Sticky-Shed-Syndrom, zumeist bekannt aus der Videowelt, scheint hauptsächlich bei Triple-Play-Bändern aufzutreten. Es handelt sich dabei um ORWO-Material für Amateur*innen von Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre.
Es wurde auch erwähnt, dass die Tatsache, dass viele ORWO-Materialien auf der Rückseite keine aufgedruckten Informationen enthalten, eine Herausforderung für die Identifikation darstellt. Von Reto Kromer wurde dazu angemerkt, dass bei Pyral-Material der Aufdruck auf den Bändern die Magnetschicht beschädigt und somit negative Auswirkungen auf die Qualität hat. Kromer betonte ebenso, dass Tonbänder manchmal von Hand gemachte Markierungen aufweisen, die unbedingt als Metadaten festgehalten werden sollen, egal ob man deren Sinn versteht oder nicht.
Es zeigt sich, dass Eigenschaften der Materialien und Strategien der Digitalisierung oft gleichzeitig vor- und nachteilige Auswirkungen auf Aspekte des Digitalisats haben. Der Prozess der Digitalisierung beinhaltet in der Regel ein Abwägen dieser Vor- und Nachteile bei der Entscheidung zum schlussendlichen Vorgehen.

Nadja Wallaszkovits wies darauf hin, das die IASA-Dokumente TC03 und TC04 die Basis für den Umgang mit Tonelementen bilden. Schon Kucharský hatte erwähnt, dass Magnetbänder im Národní Filmový Archiv gemäß dem in diesen Guidelines erwähnten de facto Standard 96 kHz/24 bit digitalisiert werden. Gleich der Argumentation, die auch bei Film zu Zuge kommt, sollen Abtastungen in hoher Qualität gemacht werden, da es bei jedem Element das letzte Mal sein könnte, dass es digitalisiert wird.
Gemäß Wallaszkovits soll, wenn immer möglich, ab historischem Quellmaterial digitalisiert werden und nicht ab einem früheren analogen Konservierungselement, da jede analoge Überspielung einige zusätzliche Dezibel an Rauschen erzeugt, sowie Klirrfaktor und Wow und Flutter verstärkt. Sie kam auch auf den sogenannten Echo-Effekte zu sprechen, ein Eigen-Magnetisierungs- Effekt des Magnetbandes aufgrund der nahe beieinanderliegenden Schichten des Magnetbands in der Spule. Wenn Rollen Tail-Out gelagert werden, entsteht ein Post-Echo, was im Gegensatz zum Pre-Echo weniger störend wirkt. Mehrfaches Umspulen vor der Überspielung reduziere den Echo-Effekt ebenso.
Echo-Effekte lassen sich momentan noch nicht automatisiert digital entfernen. Andere Probleme wie Drift (langsames Auseinanderlaufen von Spuren, die synchron sein sollten), Wow und Flutter lassen sich sehr unterschiedlich gut digital korrigieren.
Wallaszkovits betonte die Wichtigkeit der sorgfältigen Einstellung des Azimuths (Winkelposition des Tonkopfes relativ zum aufgezeichneten Signal) bei der Abtastung, ansonsten ist z. B. die Dämpfung der hohen Frequenzen die Folge, oder bei signifikantem Misalignment sogar eine Vermischung mehrerer Spuren im Digitalisat.
Das Bias-Signal (ein hochfrequentes Sinal, das bei der Aufnahme auf ein Magnetband hilft, um die Tonqualität zu verbessern) geht bis heute in Überspielungen komplett verloren. Das Signal könnte Informationen zu Gleichlaufschwankungen in der Aufnahme geben. Ein regulärer Lesekopf kann das Signal nicht lesen, es müssten also spezielle Leseköpfe mit dünnem Kopfspalt für diesen Zweck hergestellt werden.
Schließlich wies sie auf das Forschungsprojekt NEMOSINE hin, das sich in der Abschlussphase befindet. Das von der EU im Rahmen von Horizon 2020 geförderte Projekt hat zum Ziel eine Archivverpackung zu konzipieren, die über Mikrosensorik das Raumklima in ihrem Innern misst und über Adsorbentien reguliert.

Es war ein großes Austauschbedürfnis gegenüber hauptsächlich technischen Informationen zu spüren, wie etwa zu den Eigenschaften und der Erhaltung von Magnetbändern. Dennoch wurden wenige ganz AGFA/ORWO-spezifische Informationen ausgetauscht. Erhaltungs-Themen wurden eher unabhängig von der Frage nach dem Hersteller des Materials angesprochen. Dies hat ein Teilnehmer zum Schluss kritisch erwähnt. Der Grund dafür ist wohl, dass die spezifischen Eigenschaften von AGFA/ORWO-Material offenbar noch nicht bekannt sind. Dies im Detail zu eruieren ist auch eines der möglichen Ziele des angestrebten Forschungsprojekts. Vielleicht unterscheiden sich AGFA/ORWO-Bänder auch nicht so stark vom Material der andern Produzenten, als dass die Unterschiede in der Erhaltung eine Schlüsselrolle spielen würden.

Die beiden letzten Input-Referate von Sarah Seibicke und mir, liefen unter dem Begriff Infrastruktur. Seibicke referierte zur den Herausforderungen der Aufbewahrung und Zugänglichmachung von Forschungsdaten. Ich setzte mich mit dem Thema des interdisziplinären Forschens auseinander.
Ein Forschungsprojekt produziert Daten auf verschiedenen Ebenen. Es kommt zu einer Ansammlung von Forschungsdaten, welche in einer oder mehreren Datenbank abgelegt ist, respektive in einem Repository. Das ganze wird im Allgemeinen durch eine Internetpräsentation ergänzt. Weder diese Datenbankformate an sich, noch die Dateiformate der gesammelten Daten können als besonders langlebig angesehen werden. Schon eine Aufbewahrung solcher Daten für einen relativ bescheidenen Zeitraum von zehn Jahren ist eine große Herausforderung. Unter dem Begriff FAIR (Findable, Accessible, Interoperable und Reusable) werden die Erwartungen an die Beständigkeit der Daten zusammengefasst. Dieses Grundkonzept ist in verschiedenen Förderrichtlinien von geldgebenden Institutionen enthalten und bildet die Grundlage für die Beständigkeit und Nachvollziehbarkeit von Forschungsresultaten. Die Wahl einer geeigneten Datenbank-Software hängt von einer Reihe von Faktoren, wie der Datengrundlage, dem Forschungsziel und -umfeld, sowie dem Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Zugänglichkeit ab. Hilfsmittel wie persistente Identifier, Normdatenformate und Metadatenstandards erleichtern die Umsetzung.

In meiner Präsentation machte ich erst einen kleinen Abstecher, um auf die Vielfalt der Magnetband-Typen und -Formate aus der Produktion von AGFA und ORWO hinzuweisen. Neben klassischen Magnetbändern zur Aufnahme von Ton wurden Sepmags und Materialien zur Commag-Bespurung von Filmen hergestellt. Es gab auch einige wenige Videobandtypen von ORWO und Computerbänder aus den frühen 1970er Jahren. Das Ganze wird ergänzt durch Hilfsmaterialien wie Klebebänder und Reinigungskassetten, die in einem historiografischen Kontext nicht außer Acht gelassen werden dürfen.
Ich habe auch das Thema des universellen Magnetbandlesegeräts angesprochen. Es ist die einzige dauerhafte Lösung für das Problem, dass viele Abspielgeräte von historischen Formaten kaum mehr zu finden, respektive in funktionierendem Zustand zu erhalten sind. Wenn von Digitalisierung von Magnetbändern die Rede ist, muss dieses Thema meiner Meinung nach zur Sprache kommen. Abschließend habe ich meine Erfahrungen bezüglich interdisziplinären Forschungsprojekten geteilt, insbesondere was die Zusammenarbeit zwischen geisteswissenschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fakultäten angeht. Oft ist die Kommunikation ein Problem. Wenn Forschungsprojekte wirklich interdisziplinär funktionieren sollen, so müssen, neben der grundsätzlichen Bereitschaft der Teilnehmenden, Strukturen installiert werden, die den Austausch fördern. Das gilt in ähnlicher Weise für die Zusammenarbeit mit sammelnden Institutionen und Wirtschaftspartnern.

Es gab kaum Feedback oder Diskussionen zum letzten Panel. Auch die Fragen von Zuschauer*innen via Zoom waren mehr technischer Natur beziehungsweise auf ganz konkrete Herausforderungen im Archiv-Alltag bezogen. Ich denke, dass es noch gut Luft nach oben gibt um Forschende für Herausforderungen der Metadaten und Datenbanken sowie das Interdisziplinären Arbeitens zu sensibilisieren.
Der unter dem Strich sehr fruchtbare Workshop hat gezeigt, dass in Bezug auf die Erhaltung und Digitalisierung von Magnetbändern noch viele Fragen zu klären sind. Es besteht eine Community, die sich dem Thema mit viel Leidenschaft widmet, aber eine weitere Stärkung des internationalen Netzwerks wäre wünschenswert, damit technische Informationen und Erhaltungsstrategien noch besser Verbreitung finden.