Glück für alle! Wirklichkeit in DEFA-Filmen der fünfziger Jahre

Glück für alle! Wirklichkeit in DEFA-Filmen der fünfziger Jahre (Gestaltung: h neun, Berlin)
Karte zur Ausstellung Gestaltung: h neun, Berlin
10. Juli 2009 - 7. März 2010
2009 jährte sich nicht nur das Ende der DDR 1989, sondern auch deren Gründung im Jahr 1949. Was als rigoroser Neuanfang für das Wohl eines halben Volkes gedacht war, mündete bald in den Kalten Krieg. Dessen bevorzugte Waffengattung war die Propaganda, seine Schlachtfelder waren die Medien.
Welche filmischen Spuren hinterließ die Lebenswirklichkeit der Menschen im Nachkriegsdeutschland Ost? Was wurde verwischt oder ignoriert?
Die Ausstellung zeigte Kinobilder vom DDR-Alltag aus den zwölf Jahren zwischen Staatsgründung und Mauerbau 1961: das geteilte Berlin, den Wiederaufbau, Junge und Alte, Arbeit und Freizeit. Anliegen der Schau war es, ein spannendes Zeitbild zusammenzusetzen, komponiert aus Spielfilmen, Wochenschauen, Radiobeiträgen, Fotos und Objekten rund ums Kino und den Alltag. Abseits von Spott und Verklärung trug sie so zum Verständnis der Vorfahren bei und mobilisierte eigene, womöglich andere Familienerinnerungen.
Kuratorin: Ugla Gräf (FMP)
Gestaltung und Plakat: h neun (Berlin)
Ausstellungsfotos folgen.

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60 Jahre deutsche Teilung
Während 2009 überall in der Bundesrepublik das Jubiläum von friedlicher Revolution und Mauerfall begangen wurde, lenkte das Filmmuseum Potsdam den Blick auf einen anderen Jahrestag: Die Gründung zweier deutscher Staaten im Jahr 1949 hatte die Teilung des Landes besiegelt und den Beginn des Kalten Krieges eingeläutet. Die fünfziger Jahre wurden für die Westdeutschen ein Aufbruch in den Wohlstand, für die Ostdeutschen hingegen mehrfach zu einer existentiellen Belastungsprobe.

Wer im Osten lebte, fand sich Ende 1949 in einem Land wieder, das auf die Erfahrungen von Faschismus und Krieg mit einem grundlegenden gesellschaftlichen Umbau zu antworteten gewillt war: Das uralte Missverhältnis von Armut und Reichtum sollte enden, das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft und den bisher Benachteiligten eine Chance gegeben werden.

Dieser Idee von einer gerechteren Welt folgten unzählige, meist junge Menschen mit großem Enthusiasmus. Für viele andere Ostdeutsche jedoch waren Landesteilung und Sozialismus eine Zumutung; die eigenen Entbehrungen und Unfreiheiten wogen schwerer als ein verordneter Idealismus. So sah sich die DDR nicht nur äußeren Anfeindungen ausgesetzt, sondern viele ihrer eigenen Bürger verweigerten ihr die Gefolgschaft. Die unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfe in Ost- und Westdeutschland waren der Zündstoff, der den Kalten Krieg befeuerte. Die Medien - und damit auch der Film - wurden zu dessen Austragungsort.

Die Filme der DEFA in den fünfziger Jahren
In der DDR unterstand die Filmproduktion der Kontrolle des Staates und war dessen politischem Programm verpflichtet. Eine wachsende Anzahl von DEFA-Filmleuten teilte die antifaschistische Position der Staatsführung ebenso wie deren sozialistische Ideen. Aufgefordert, Stoffe zu aktuellen politischen Themen zu entwickeln, um in eine öffentliche Diskussion einzutreten, waren sie bemüht, die papiernen Thesen mit Leben zu erfüllen. So war die Wirklichkeit Ausgangs- und Endpunkt für viele Spielfilme, die vor allem um Probleme des sozialistischen Aufbaus und die Auseinandersetzung mit dem ideologischen Gegner im Westen kreisten. DEFA-Filme wollten aufklären und den Zuschauern Orientierung bieten - im Jahrzehnt durchlässiger innerdeutscher Grenzen auch ein Versuch, die massenhafte Abwanderung in den Westen aufzuhalten.

Welches Bild gaben die DEFA-Filme aus den Jahren zwischen DDR-Gründung und Mauerbau vom Leben in der jungen DDR? Wie spiegelte sich der konfliktreiche sozialistische Aufbau, dieses Gesellschaftsexperiment, in Kinogeschichten wider? Wie viel Wahrhaftigkeit verbarg sich hinter den reichlich vorhandenen und scheinbar unvermeidlichen propagandistischen Attitüden? Was können uns Filme, die immer auch Zeitdokumente sind, vom Leben der Eltern und Großeltern im Osten Deutschlands zeigen?

Mehr zur Ausstellung
Auf diese Fragen gab die Ausstellung keine fertigen Antworten, sondern präsentierte statt dessen ein multimediales Bilderbuch mit Dokumenten aus einer Zeit, die späteren Generationen eher grau, entbehrungsreich und durch permanent verbreitete Propaganda in Betriebsversammlungen, in Zeitungen, im Radio und im Kino im besten Falle skurril erscheint. In diesem Bilderbuch konnte der Besucher selbst Antworten finden.

Sechs thematische Kapitel verbanden Spielfilme und Zeitgeschichte miteinander: Alltag 1949 - 1955, Spionage & Sabotage, Arbeit & Freizeit, Kollektivierung & LPG, Kinder & Jugend, Alltag 1956 - 1961. Neben zahlreichen Zeitfotos, politischen Plakaten, Zeitungsausschnitten und Auszügen aus Dokumenten flankierten 26 Beiträge aus DEFA-Wochenschauen und 25 DDR-Hörfunkbeispiele ausgewählte DEFA-Spielfilme, die wiederum in 33 Ausschnitten vorgestellt wurden. Filmfotos und -plakate, Filmkritiken und Leserbriefe verorteten die DEFA-Spielfilme im öffentlichen Diskurs. Auszüge aus Tagebüchern und Autobiografien von Zeitgenossen ermöglichten eine emotionale Nähe zu den historischen Begebenheiten. Und nicht zuletzt erinnerten Familienfotos von privaten Leihgebern daran, dass hinter dem politisierten Alltag der fünfziger Jahre ein privater Alltag mit Familie und Freunden für die meisten Menschen das Lebenszentrum war. Ausstellungsbau und -grafik setzten dem schwarz-weißen Film- und Bildmaterial Farbigkeit und Modernität entgegen und betonten damit den Retroblick ebenso wie die minimalistische Ausstattung mit zeitgenössischem Dekor und originalen Utensilien aus dem Alltagsleben der Fünfziger.

PRESSE
Und wir wachsen kämpfend mit
Berliner Zeitung, 16. Juli 2009, Ralf Schenk

Kino und Zeitgeschichte: "Glück für alle", eine Ausstellung des Potsdamer Filmmuseums
Ralf Schenk
Glück für alle!", die neue Ausstellung des Potsdamer Filmmuseums, entstand aus dem Gefühl heraus, dass ein Teil der deutschen Alltagswirklichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg in der gegenwärtigen medialen Erinnerungspolitik nahezu komplett verdrängt wird. Die 1950er Jahre, um die es hier geht, bedeuteten eben nicht nur Nierentisch, Heimatfilm und Wirtschaftswunder, sondern auch, in der DDR, dem "anderen" deutschen Staat, jene kollektiven Glücksversprechen, die sich auf harte Arbeit und den festen Glauben an eine entbehrungsfreie kommunistische Zukunft gründeten. Die Kuratorin Ugla Gräf nimmt sich im Filmmuseum dieser ostdeutschen Wirklichkeit an - so, wie sie in Defa-Spielfilmen und Wochenschauen überliefert ist. Eine Zeitreise, die illustriert wird durch Fotos, Karikaturen, Plakate, Rundfunkreportagen und diverses technisches Gerät.

Sechs Terminals, die mit Überschriften wie "Arbeit & Freizeit", "Spionage & Sabotage" oder "Kollektivierung & LPG" versehen wurden, laden mit mehr als dreißig Szenenausschnitten zum Eintauchen in eine ideologiegesättigte filmische Vergangenheit ein. Zu sehen ist unter anderem eine Sequenz aus Kurt Maetzigs "Roman einer jungen Ehe" (1951), in der zu einer Feier an der Stalinallee das Gedicht rezitiert wird: "Hat uns doch Stalin selber bei der Hand genommen und hieß uns, uns're Köpfe stolz erheben." In Slatan Dudows "Frauenschicksale" (1952) führt der Weg einer jungen, gerade aus dem Zuchthaus entlassenen Frau direkt in die Demonstrationen der III. Weltjugendfestspiele. Und in "Zugverkehr unregelmäßig" (1951) jagen tapfere Volkspolizisten nach West-Bösewichten, die Anschläge auf die von Ost-Berlin betriebene S-Bahn ausüben.

Die Ausstellung belegt, dass der Defa-Gegenwartsfilm der 1950er zwar von der gesellschaftlichen Realität inspiriert wurde, seine Stoffe aber meist so formte, dass sie den Rastern der SED-Erziehungsdiktatur entsprachen. Bis auf kurze Episoden der kulturpolitischen Liberalisierung wurde die Defa in den Dienst einer Politik gestellt, die das Kino als verlängerten Arm der Agitation begriff und am liebsten Filme wollte, in denen die Utopie bereits als Wirklichkeit gefeiert wurde. Dennoch entstanden nicht nur dogmatische und öde Produktionen. Immer wieder schimmerte in den Bildern die Ahnung auf, keineswegs in der besten aller Welten zu leben. So fragte "Berlin - Ecke Schönhauser ..." (1957) danach, warum Jugendliche im Osten den Westen so verlockend fanden. "Junges Gemüse" (1956) machte sich über die allseits wuchernde Bürokratie lustig. In "Schlösser und Katen" (1957) oder "Sonnensucher" (1958) wurden auch Parteifunktionäre kritisch gesehen.

Als Ergänzung der Filmzitate wartet die Potsdamer Ausstellung mit Devotionalien auf, die schon damals nicht von allen DDR-Bürgern Ernst genommen wurden, wie Ulbrichts "Zehn Gebote der sozialistischen Moral" (1958). Ein Comic-Plakat drohte: "Du willst kein Ami-Söldner sein, drum schalte nicht den Rias ein." Und das HO-Café im Walter-Ulbricht-Stadion an der Chausseestraße warb mit dem Slogan: "Herrliche Lage. Angenehmer Aufenthalt. Kalte Küche".

Dabei kommt die Ausstellung ohne didaktische Kommentare aus. Ihr Anliegen ist es nicht, die praktische Ausführung einer politischen Idee von heute aus lächerlich zu machen oder als von vornherein gescheitert zu charakterisieren. Vielmehr werden die Zeitzeugnisse wie ein Puzzle angeordnet, aus dem sich im Kopf des Betrachters ein ganz eigenes Bild zusammensetzt. "Sie sehen selbst, Sie hören selbst. Urteilen Sie selbst!" - das demokratische Motto des frühen "Augenzeugen" trifft vollkommen auch auf diese Exposition zu.

Und doch sind ein paar Leerstellen zu beklagen. Zum Beispiel bleibt ein Film unerwähnt, der im Defa-Gegenwartskino den Paradigmenwechsel von dramatischen Ost-West-Geschichten zu einem "reinen2, emanzipierten, farbenfrohen DDR-Bild einleiten wollte: "Verwirrung der Liebe" (1959) von Slatan Dudow. Bedauerlich ist auch, dass eine Ausstellung, die "Glück für alle!" heißt, ausgerechnet auf jenes Propagandaepos verzichtet, das den Begriff Glück schon im Titel führte: Martin Hellbergs und Paul Wiens' "Das kleine und das große Glück" (1953). Dort schmetterte eine Jugendbrigade voller unverbrauchtem Idealismus das schöne Lied: "Werke wachsen aus den Plänen, und wir wachsen kämpfend mit!"