27. September 2002 - 23. Februar 2003
Eine Kulturgeschichte der Seifenoper
Seifenopern zu schauen, so haben Medienwissenschaftler festgestellt, macht aus uns glückliche Menschen. Für viele Fernsehzuschauer scheint das kein Geheimnis zu sein, die hohen Einschaltquoten der Daily Soaps beweisen es. "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", "Marienhof", "Unter Uns", "Verbotene Liebe" - die Fans sind den endlosen Fernsehgeschichten ebenso verfallen wie einst der König von Samarkand den Erzählungen Scheherezades. Soap-Kritiker stehen ratlos daneben.
Diesem Phänomen widmete das Potsdamer Filmmuseum eine Ausstellung. Sie erzählte von der Vorgeschichte der Vorabendserien und davon, was deren Reiz ausmacht.
Der Ausstellungsraum verwandelte sich in die überschaubare Welt einer Seifenoper: Wohnräume, Kneipe, Laden, Friseur. Eingeweihte Fans konnten es genießen, auf Jo Gerners altem Sofa Filme anzuschauen, auf Cleo Winters Bett von der Liebe zu träumen, auf dem Sofa der "Marienhof"-WG heimlich Telefongespräche mitzuhören oder in "Daniels Bar" intime Gespräche zu belauschen.
Für kritische Besucher wurde der Gang durch die Sets einer Soap zugleich eine Entdeckungsreise durch die Kulturgeschichte, die bis zu Homer zurückführte. Zur Ausstellung erschien ein reich bebilderter Katalog und im Berliner Aufbau Verlag ein Taschenbuch zum Thema.
Kuratorin: Hanne Landbeck (Potsdam)
Gestaltung und Plakat: blotto design (Berlin)
Ausstellungsfotos folgen.
Mehr zur Ausstellung
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Historisch Interessierte konnten erfahren, was Boccaccio und die Commedia dell'Arte mit den Seifenopern verbindet, warum unsere Urgroßmütter Hedwig Courths-Mahler liebten und welche Zutaten zu einer echten Soap gehören. Sie konnten Legende und Wahrheit über die Erfindung der Soap erfahren und Bekannte aus den guten alten Familienserien wiedertreffen: die Hesselbachs, Schölermanns, Krügers und Neumanns (bitte 2x klingeln!). Eine Fülle von Filmen, Fotos, Exponaten und Informationen halfen, dem kulturgeschichtlichen und gesellschaftlichen Phänomen Daily Soap auf die Spur zu kommen.
Um die Atmosphäre von Produktionssets zu vermitteln, war das Ausstellungsdesign den Ateliers von Daily Soaps nachempfunden. Der Besucher konnte sowohl "on stage" als auch "off stage" sein. "On stage" befand er sich auf der Erlebnisebene mit zehn Räumen unterschiedlicher Größe. Die ersten vier beschäftigten sich mit der Geschichte der Seifenoper, während die folgenden Räume mit teilweise originalen Soap-Dekorationen die Geschichten dieser Serien beleuchteten. Die Informationsebene mit Hintergrundinformationen zu den Daily Soaps befand sich "off stage", an den Außenwänden der Ausstellung. Wissenswertes zu Produktion, Rezeption oder zu artverwandten Formaten wie den Daily Talks wurde hier vorgestellt. Wem die Informationen zuviel wurden, der ging wieder "on stage" und ließ sich unterhalten. Oder umgekehrt: Wer genug von der Unterhaltung hatte, konnte jederzeit "off stage" gehen, um sich zu informieren.
Ein Rundgang durch die Ausstellung
Eingang: Herzlich Willkommen!
Zunächst fand sich der Besucher in einem kleinen Raum wieder, der einem Aufzug ähnelte und in dem das eigene Gesicht mit bekannten Gesichtern aus diversen Soaps in Spiegeln um die Wette strahlen konnte. Betrachter und Betrachtete wurden eins: Stars sind Menschen wie du und ich. Neben diesem Hinweis auf die Inflation der Starkultur veranschaulichte das Entree die große Anzahl der Menschen, die in den Soaps auftreten - und deren Austauschbarkeit. Drückte der Besucher auf einen der Fahrstuhlknöpfe, ertönte die Titelmelodie einer der vier deutschen Daily Soaps ... Mit diesem Gruß begab sich der Besucher auf den Weg durch die Geschichte der Seifenoper.
Es war einmal ...
Die Geschichte der Seifenoper begann mit ihren Ahnen. Zu ihnen zählte die "Ilias" von Homer, der wie in einer Soap verschiedene Handlungsstränge seiner Geschichte in einer Art Zopfstruktur miteinander verbunden hatte. Auch der Märchenzyklus "Tausendundeine Nacht", in dem Scheherezade aus Angst vor dem Tod den Cliffhanger erfand, wurde für Soaps genutzt: Scheherezade brach die Geschichten, die sie dem Sultan erzählte, in dem Moment ab, als sie am spannendsten waren, damit er sie einen weiteren Tag am Leben ließ. Das "Decamerone" war im 14. Jahrhundert von Boccaccio zur Unterhaltung von Frauen geschrieben worden - so wie heute junge Frauen und Mädchen die Hauptzielgruppe von Daily Soaps sind. Weiteren Ahnen begegnete man in der Gestalt von dramatischen Lustspielen, geschrieben von August von Kotzebue, der im 18. Jahrhundert weit populärer als Goethe war. Auch die Endlosstruktur war keine neue Erfindung: Schon im frühen 19. Jahrhundert brachten Fortsetzungsromane den Zeitungen eine hohe Auflage. Berühmte Namen dieser Zeit waren Alexandre Dumas d.Ä., Charles Dickens und Theodor Fontane. Der Weg war geebnet für die trivialen Geschichten einer Eugenie Marlitt oder Hedwig Courths-Mahler, die z.B. in der Familienzeitschrift "Gartenlaube" in Fortsetzung erschienen.
Der Friseursalon
Erfunden wurde die Soap Opera in den USA der 1930er Jahre. Die heute noch existierende Firma Procter & Gamble, Produzentin von Seifen und Waschmitteln, gab dem Kind seinen Namen: Um Werbung für ihre Produkte geschickt unter das Volk zu bringen, kam sie auf die einträgliche Idee, kleine Geschichten über die Sorgen und Nöte einer Hausfrau im Radio zu senden - immer unterbrochen durch Hinweise auf eine neue Seife oder ein wahnsinnig ergiebiges Waschpulver. "The Guiding Light" (in Deutschland als die "Springfield Story" bekannt) hieß eine dieser ersten Radio-Soaps, die vorzugsweise von Hausfrauen gehört wurde. Der Ausstellungsraum war einem Friseursalon nachempfunden, in dem sich der Besucher unter einer Trockenhaube Radio-Soaps aus unterschiedlichen Jahrzehnten anhören konnte.
Die gute Stube
Schon bald übernahm das neue Medium Fernsehen das erfolgreiche Konzept. Im Lauf der 1960er und 1970er Jahre strahlten Fernsehsender immer mehr Familienserien aus. Einige wurden zu regelrechten "Straßenfegern" - die Nation traf sich vor den Fernsehgeräten, um das Schicksal lieb gewonnener Figuren zu verfolgen. Da gab es "Die Unverbesserlichen" mit Inge Meysel als "Mutter der Nation", die jährlich am Muttertag erschien und ihre Opferbereitschaft für die Familie zum Besten gab.
Familienserien entstanden sowohl in der BRD als auch in der DDR. Während es in der BRD lange nicht denkbar gewesen wäre, eine alleinstehende Mutter mit Kindern als Hauptfigur einer Serie zu etablieren, war das in der DDR durchaus möglich, wie in den "Geschichten übern Gartenzaun".
In den 1980er Jahren verloren die guten, alten, realistischen Familienserien durch die Invasion amerikanischer Serien wie "Dallas" oder "Denver Clan" ihre Unschuld: Immer noch stand die Familie im Mittelpunkt des Geschehens, aber es ging nicht mehr um die alltäglichen Sorgen, sondern um Rachsucht und Intrigen.
Auch die erste Weekly Soap des deutschen Fernsehens, die seit Dezember 1985 Sonntag für Sonntag in deutschen Wohnzimmern flimmerte, konnten die Besucher wiederfinden: "Die Lindenstraße" - eine so genannte Mehrfamilienserie. Die "Lindenstraße", deren Vorbild die britische "Coronation Street" war, zeigte zum ersten Mal veränderte Familienstrukturen, in der Nachbarn oder Freunde wichtiger wurden. Ausstellungsbesucher konnten es sich im Wohnzimmer gemütlich machen und Ausschnitte aus den bekanntesten Serien wiedersehen bzw. neu entdecken.
Die Küche
In der Küche wurden die Besucher in die Geheimnisse einer Soap eingeweiht. Zopfstruktur, Cliffhanger, Recap, Göttinnenperspektive - dies alles sind Zutaten, ohne die eine Daily Soap nicht so recht schmecken will. Die Produzenten der vier bekanntesten Dailys im deutschen Fernsehen - "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" (seit 11.5.92), "Marienhof" (seit 1.10.92), "Unter Uns" (seit 28.11.94), "Verbotene Liebe" (seit 2.1.95) - kennen das Rezept.
Die WG
Aus dem Zusammenleben einer Familie ist in den Daily Soaps ein Zusammenleben in Wohngemeinschaften geworden. Hier und da gibt es noch Reste alter Familienstrukturen, aber die wichtigsten Bezugspersonen sind meistens gleichaltrige Freunde, die Clique oder Mitbewohner. Schöne, junge Leute kommen und gehen, die Gemeinschaften dienen als Familienersatz. Ältere Menschen sind in Dailys Ausnahmeerscheinungen. Die wenigen, die das Bild der ewigen Jugend stören dürfen, fungieren als Fels in der Brandung eines großen Meeres der Orientierungslosigkeit. Wie in den Familienserien geht es darum, die kleinen und großen Probleme des Alltags zu bewältigen und mit Hilfe von Freunden besser zu überstehen.
Das Schlafzimmer
Auch wenn es in Soaps nur harmlose Liebesszenen zu sehen gibt, so ist das Schlafzimmer doch nicht mehr tabu. Für die Soap ist dieser Bereich einer der interessantesten und ergiebigsten, denn eigentlich dreht sich hier alles nur um die Liebe: die verbotene Liebe, die unerfüllte Liebe, die eigennützige und die unglückliche Liebe. Es wird viel geküsst, geträumt, betrogen und geweint. Das Liebesglück ist immer nur von kurzer Dauer.
Besucher der Ausstellung durften in diesen intimen Raum vordringen und sich aufs Bett legen, um sich mit den Figuren der Dailys dem Traum von der wahren Liebe hinzugeben.
Das Bad
Die letzte Bastion der Intimsphäre - fast wie der Tod, der in unserer Gesellschaft gern ausgeblendet wird. Aber auch Bad und Tod sind für die Soap keine Tabus, es wird viel gestorben. Durch die Endlosstruktur der Daily Soaps kommt es zwangsweise zu Todesfällen, wenn z.B. ein Schauspieler aus der Serie "aussteigen" möchte oder beim Publikum nicht so gut ankommt. Dann wird die Figur "herausgeschrieben" und darf - ganz nach Beliebtheitsgrad - heldenhaft oder eher unspektakulär ableben. Manchmal gibt es auch nur einen Abschied auf Zeit, dann wird die Figur schon mal in die Wüste geschickt oder wandert aus - vorzugsweise nach Australien. Egal ob Tod oder Abschied, für Zurückbleibende ist beides schmerzvoll.
Der Laden
Dem Schmerz über die Vergänglichkeit des Lebens bietet das Shoppen Paroli. Hier gibt es Ablenkung und Zerstreuung. Konsum ist der tiefste Sinn der Soap-Existenz - auch die Werbeunterbrechungen müssen vom Zuschauer wie selbstverständlich hingenommen werden. Der Ausstellungsbesucher konnte im Laden selbst dem Kaufrausch verfallen und Merchandising-Produkte erwerben - oder sich in Enthaltung üben.
Die Kneipe
In der Kneipe treffen sich die Figuren der Soap wie früher die Figuren der Familienserien in der guten Stube. Die Kneipe ist zum modernen Wohnzimmer geworden, wo Geheimnisse ausgeplaudert, Intrigen gesponnen und über Abwesende hergezogen wird. Wenn der Ausstellungsbesucher eine kleine Pause nötig hatte, konnte er sich dazusetzen, hitverdächtiger Musik aus der Jukebox lauschen oder einen Kaffee trinken.
Ein Filmprogramm im Kino des Filmmuseums sowie monatliche Veranstaltungen begleiteten die Schau.