»Man muss das Verschwinden vorbereiten - niemals hätte ich gedacht, wie prophetisch diese Aussage war«, so Kommilitone, Wegbegleiter, Kollege und Teampartner hinter der Kamera
Peter Badel über Thomas Heise im
Deutschlandfunk. Sie stammt aus dem Film
HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT (2019), »ein Versuch, Geschichte auf einen Begriff zu bringen«, die Geschichte der eigenen Familie, die er als letzter Überlebender beschrieb, und sein Vermächtnis. HEIMAT IST EIN RAUM AUS ZEIT wurde u.a. bei der Berlinale 2019 mit dem
Caligari-Filmpreis der kommunalen Kinos ausgezeichnet, zu denen auch das Filmmuseum Potsdam gehört.
Am 29. Mai 2024 ist Thomas Heise, einer von Deutschlands bedeutendsten Dokumentarfilmern, verstorben.
Thomas Heise wurde am 22. August 1955 in Ostberlin geboren. Nach Facharbeiterlehre und Wehrdienst arbeitete er als Regieassistent beim DEFA Studio für Spielfilme, holte das Abitur nach und begann 1978 sein Regiestudium an der Filmhochschule in Babelsberg. Der Titel eines kleineren Übungsfilms
WOZU DENN ÜBER DIESE LEUTE EINEN FILM? und gleichsam Frage eines Dozenten wurde programmatisch für sein Werk: »Tiefenbohrung in der Wirklichkeit« benennt es die
Süddeutsche Zeitung. Er »arbeitete unheimlich genau, aufmerksam, legte sein Material auf die Goldwaage«, schreibt die
Berliner Zeitung in ihrem Nachruf. Doch genaues Hinsehen, Beobachten und Dokumentieren - wie es Thomas Heise bereits in seinen Studentenfilmen tat, waren unbequem. Damals wehte ein anderer Wind in Babelsberg. Seiner drohenden Exmatrikulation kam er zuvor und verließ 1982 die Hochschule ohne Diplom - »freiwillig« oder vielmehr im Ergebnis operativer Bearbeitung durch das Ministerium für Staatssicherheit in den Jahren zwischen 1976 und 1988 (OV »Schule«).
Das Filmemachen gab Thomas Heise nie auf, machte sich als Autor und Regisseur für Film, Funk und Theater einen Namen. In seiner Regie entstanden mehr als 20 Dokumentarfilme, international erfolgreich und prämiert. Er war Meisterschüler der Akademie der Künste der DDR, arbeitete bei Fritz Marquardt am Berliner Ensemble, realisierte eigene Inszenierungen. Später wurde er Mitglied der Europäischen Filmakademie und der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, leitete dort von 2018 bis 2024 die Sektion Film. Er war Professor für Film an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe sowie für Kunst und Film an der Akademie der bildenden Künste Wien. Im Juni 2013 kehrte er in Ehren an die Filmuni zurück: Er wurde»in Würdigung seiner hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen« zum Honorarprofessor im Fach Cinematography bestellt. Die Antrittsvorlesung widmete er seinem Theaterprojekt in der Haftanstalt San Fernando, Mexico City. Für die Inszenierung mit kriminellen Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 kompilierte er Passagen aus dem »Lesebuch für Städtebewohner« von Bertolt Brecht, der »Abschweifung über produktive Arbeit« von Karl Marx mit autobiografischen Texten der jugendlichen Häftlinge.
Er habe seine Filme entlang der Frage konzipiert, was die Menschen in 300 oder 400 Jahren an unserer Gegenwart noch interessieren könnte, sagte er selbst über sein Werk m Interview mit dem
SPIEGEL. Er wollte zur Reflexion herausfordern, zeigen, was andere nicht zeigen, das gesellschaftlich Relevante in den Randbereichen, im Tabuisierten ausmachen - um der Wahrhaftigkeit willen. Die Filme bleiben - und mit ihnen auch die besondere Philosophie Heises: »Man kann sich die Geschichte länglich denken. Sie ist aber ein Haufen« (aus MATERIAL 2009).
Wir trauern um Thomas Heise!