OBSESSIONEN Die Alptraumfabrik des Alfred Hitchcock

19. August - 5. November 2000
Erstmalig konnten Interessierte in einer umfangreichen Ausstellung einen Blick in die Hexenküche des Gruselkönigs werfen: Wie funktionierte Hitchcocks Kino der Angst, wer verbarg sich hinter der Maske des rundlichen Gruselonkels, was waren seine ganz privaten "Obsessionen" und was davon wurde in Filmen sichtbar? Mit Exponaten, Tondokumenten und Filmausschnitten wurde versucht, dem Meister auf die Schliche zu kommen. "Manche Filme sind ein Stück Leben. Meine Filme sind ein Stück Kuchen", so scherzte Sir Alfred Hitchcock über sein Lebenswerk, das 53 Klassiker der Kinogeschichte umfasst.

Die Filmmuseen Düsseldorf, Frankfurt am Main, München und Potsdam hatten diese Schau gemeinsam vorbereitet.
Kuratorin: Heidi Draheim (Filmmuseum Düsseldorf), Maren Wurster, Hans-Peter Reichmann (Deutsches Filmmuseum Frankfurt am Main); Gestaltung und Plakat: con©eptdesign (Offenbach)
Ausstellungsfotos folgen.
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Wohl kaum ein anderer Regisseur verstand es so geschickt, Kunst und Kommerz zu verbinden. Schrecken, Humor, Erotik waren die gängigen Zutaten zu einem wirkungsvollen Gemisch, dessen einzigartiges Rezept nur der Meister selbst kannte. Die Art, wie Hitchcock seine absurden Storys erzählte, war genau kalkuliert. Er hatte seinen Spaß daran, mit den Emotionen des Publikums "wie auf einer Orgel" zu spielen. Ganz nebenbei erweiterte er die Register, die ein Regisseur, ein Autor, ein Kameramann ziehen kann, um eine Geschichte effektvoll auf die Leinwand zu bringen.

Wer kennt nicht die berühmten Szenen aus Hitchcocks Filmen, die Duschszene aus "Psycho" etwa oder den Mordanschlag mit einem Flugzeug auf Cary Grant in "North by Northwest". Hitchcock war von Bilderwelten besessen. "Ich wollte schon immer gerne eine Verfolgungsjagd quer über die Köpfe und Gesichter am Mount Rushmore drehen." Oft stand am Anfang eines Films eine solche visuelle Idee, aus der die Drehbuchautoren dann eine Geschichte entwickelten. Ausgehend von Hitchcocks Einfall einer Verfolgungsjagd über die Köpfe der amerikanischen Präsidenten, schrieb Ernest Lehman die Geschichte zu "North by Northwest". Ursprünglich sollte der Film "The Man On Lincoln's Nose" heißen.

Für Hitchcock war Film nicht ein Medium, um Geschichten zu erzählen, sondern eine Kunst, um existentielle psychische und emotionale Erfahrungen zu visualisieren. Die Zuschauer werden in einen Strudel von Lust und schlechtem Gewissen, von Begierde und Schuld, Vertrauen und Misstrauen gerissen. Hitchcocks Filme handeln von Grenzsituationen, von der brüchigen Schnittstelle zwischen der Banalität des geordneten Alltags und des einbrechenden Chaos'. Was für Menschen existentielle Bedeutung hat, geht in Hitchcocks Filmen verloren. Seine Helden werden von ihnen überlegenen Mächten - von der kriminellen Organisation bis zum eigenen Unterbewussten - bedroht und geraten in immer ausweglosere Situationen. Zum Schluss eines jeden Films wird die Ordnung des Alltags notdürftig wiederhergestellt. Doch der nächste Hitchcock-Film wird den Zuschauer erneut verunsichern.

Hitchcock verdankte seine Popularität nicht nur Filmen wie "Vertigo", "Psycho" und "The Birds", sondern seiner Fähigkeit, sich als Person in der Öffentlichkeit zu einem Markenzeichen zu machen. Als Mann von enormer Leibesfülle und Ausstrahlungskraft präsentierte er sich als strenger britischer Gentleman. Wie sehr dieses öffentliche Image eine Selbstinszenierung war und wie wenig es mit der Privatperson zu tun hatte, zeigen erhaltene Amateurfilme.

Bereits 1930 gründete er eine eigene Firma. Durch den Erfolg späterer Fernsehauftritte allseits bekannt geworden, warb Hitchcock mit seinem Konterfei auch auf den Plakaten für seine Kinofilme. Zudem trat er in eigens inszenierten Trailern auf, in denen er das Publikum direkt ansprach. Um das deutsche Publikum besonders zu interessieren, sprach er in den Trailern zu "Psycho" und "Marnie" deutsch. Beispielhafte Ausschnitte waren in der Ausstellung zu sehen.

Hitchcock suchte ein Höchstmaß an Kontrolle über seine Filme zu gewinnen, vom Drehbuch bis zur Anfertigung von Storyboards, vom Casting bis zur Regie, vom Kostüm- und Architekturentwurf bis zur fertigen Szene, vom Schnitt bis zur Musikeinspielung - in der Ausstellung belegten eine Vielzahl von Exponaten diese charakteristische Arbeitsweise. Das Filmen selbst empfand Hitchcock eher als lästig, da für ihn der Film bereits vor Drehbeginn so konzipiert war, dass er die eigentlichen Dreharbeiten nicht als wirklich kreativen Prozess begriff. Bei der Arbeit am Set schlief er deshalb manchmal sogar. Für die Realisierung der Szenen, um derentwillen er einen Film überhaupt erst machen wollte, verwandte er jedoch viel Zeit und Energie. Die Hälfte der Drehtage von Janet Leigh in "Psycho" entfiel auf die Duschszene.

Jahrzehntelang blieben Hitchcocks Filme von der Filmkritik unterbewertet, weil man sie nur als Massenunterhaltung und nicht auch als Kunst verstanden hatte. Erst Ende der 1950er Jahre wurde der Regisseur von jungen Franzosen, die später selbst anerkannten Filmregisseure wurden, entdeckt und gewürdigt. Sie etablierten Hitchcock als Autor. Den wichtigsten Baustein dazu lieferte François Truffaut mit seinem 50-Stunden-Interview mit Hitchcock, das 1966 als Buch unter dem Titel "Le Cinéma selon Hitchcock" (deutsch erstmals 1973 unter dem Titel "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?") veröffentlicht wurde.

Eine umfangreiche Filmretrospektive begleitete die Schau und bot die einmalige Gelegenheit, hierzulande weniger bekannten Filme des Regisseurs - zum Teil in Originalfassung - auf der großen Leinwand zu sehen.

Ausstellung und Filmreihe wurden ermöglicht durch die freundliche Unterstützung von Universal Studios Network und 13th Street. The Action and Suspense Channel.