Ehrung für Günther Rücker

Am 11. März 2008 hatte das Filmmuseum Potsdam eingeladen, um des Autors und Regisseurs Günther Rücker zu gedenken, der am 24. Februar verstorben war. Auf der Veranstaltung erinnerten Prof. Rudolf Jürschik und der Regisseur Günter Reisch an den bemerkenswerten Menschen und Künstler Günther Rücker. NAchstehend veröffentlichen wir die beiden Texte.

Worte von Rudolf Jürschik


Prof. Rudol Jürschik bei der Ehrung für Günther Rücker am 11. März 2008 - Foto: J.-K. Leopold
Liebe Freunde von Günther Rücker, werte Damen und Herren.
Dieser Tage - in Briefen lesend, die Günther einer älteren Genossin, aus Reichenberg wie er, und einem Jüngeren aus Böhmen, mir, geschrieben hat - da war sie wieder, jene Ahnung von dem tiefen und weitreichenden Gedanken: Glück ist, wenn man verstanden wird.

Günther vermochte es wie nur sehr wenige, einem dieses beglückende Gefühl zu geben, in Gesprächen - sei es über Geschichte, Politik, über die Kunst, eben über das Leben - jenes Wort, jenen Klang zu finden, in dem man sich verstand. Verstehen, das konnte - musste - gelegentlich auch einschließen, heißen - so wie er von einer Aufführung des Films Der Fall Gleiwitz in Hamburg, das war schon vor der Wende, berichtete, wo er auf die leibhaftigen "Naujocks", diese "gutwilligen" Helfer jener mörderisch-geschichtsträchtigen Aktion "Fall Gleiwitz" traf - dass man, um verstanden zu werden, auch deutlich zu markieren hat, was trennt.
Auch wo dies notwendig einging in sein Werk, die Filme, die Erzählungen, geschah es doch nie um der Trennung selbst wegen, sondern immer um eines übergreifendes Wertes willen, der Menschen verbindet: die Liebe. Liebe in ihrem unerschöpflichen Reichtum. Es ist trefflich bemerkt worden, man könne Rückers Werke auch als eine einzige Liebeserklärung lesen, aufnehmen.
Es gibt im Band des Jahres 1978 der "Prisma"-Reihe einen Text von nur vier Seiten von ihm: "Hätte ich Geld... ich kaufte ein Kino..." Im Gedankenspiel mit jenen Filmen, die er dort hätte zeigen wollen, lässt er das ganze regenbogenfarbene Spektrum der Liebe, seiner Liebe zum Leben und zu den Bildern vom Leben im Film aufscheinen. Doch erst wenn wir - weil er es doch nicht tut - hinzudenken, was durch seine Arbeit Film geworden ist, gingen wir in diesem Kino auch zu ihm, weil ja sein Werk wie jede künstlerische Arbeit "Ausdruck eines Inneren ist, das sich deutlich an ein Gegenüber richtet und nach dem Verstandenwerden strebt". Ein Wort von Käthe Kollwitz; gleichsam ein Ariadne-Faden durch Günthers Werk: seine Filme, die Erzählungen, der Roman, seine Essayistik, 300 Seiten anregende Gedanken zu Filmen, zu Schauspielern, zu Dichtern und auch zu Bildenden Künstlern. Dazu die publizierten Gespräche mit ihm und seinen Mitstreitern über seine, ihre Filme.
Gespräche mit Günther - keiner von uns wird sie vergessen können, jene Gespräche, die nur in unseren Erinnerungen bewahrt bleiben, wodurch wir uns ihrer als glückswürdig erweisen können.

In dem Film Die besten Jahre, den wir gleich sehen werden, gibt es eine Szene, die in sich zusammenfasst, was man - wie ich meine - an Günther erinnernd hervorheben sollte. Der Neulehrer Ernst Machner, der jenes so traditionsträchtige wie -mächtige Gymnasium als Schulleiter zu übernehmen hat, wird vom Lehrer Klein - von Rolf Hoppe dargestellt - auch durch die Bibliothek dieser ehrwürdigen Einrichtung geführt. Robespierre war ein spielentscheidendes Stichwort. Am nächsten Morgen ist dieser Lehrer weg. Die Grenze war ja offen. Ernst Machner hat die ganze Nacht Robespierre gelesen - zum ersten Mal in seinem Leben. Nun muss er selbst die "Klasse ohne Lehrer" übernehmen. Um herauszufinden, ob es für eine Zusammenarbeit mit den Schülern Hoffnung gibt, lässt er aus dem Werk von Robespierre, in dem der sich an das Volk wendet, das die Despotie besiegt hat, folgenden Satz lesen: "Nur zu gut wissen eure Feinde, dass, wenn sie euch hinfort vernichten könnten, dies nur durch euch selber geschehen könnte." In einem DEFA-Film von 1964/65 dieser Satz - was für eine Dimension.
Dann Ernst Machner, in dem sehr viel vom realen Urbild dieser Gestalt und von Günther selbst weitergegeben wird: "Geschichte ist ein erregender Gegenstand. Ich möchte, dass Ihr sie liebt, so wie ich sie liebe."

Günther Rücker und die Geschichte, das ist seine Kunst, in erzählten Geschichten uns Sinnschicht für Sinnschicht der Geschichte zu ent-decken. Auch - oft gerade in Gesprächen am Küchentisch - wenn er "nur so" erzählte. "Leise und melancholisch im Tonfall", wie sein Freund, der Komponist Kurt Schwaen, in einem Porträt zum 80. Geburtstag von Günther, was sein anderer Freund, der Hörspielredakteur Peter Gugisch gestaltet hat, Rückers Art zu sprechen charakterisierte. Ja, leise und melancholisch im Tonfall, doch immer klar und entschieden in der Intention.
So auch in dem letzten Gespräch, das ich im November in Meiningen mit ihm haben durfte. In der Küche. Es ging wieder um die geliebte Geschichte. Und eben daher auch sein Groll auf die spaßgesellschaftlichen Verdrängungsmechanismen wie in den ZDF-geknoppten Bildern vom Leid von Menschen im Krieg, wo im emotionalisierten Mitleid das Wort zu den letztendlichen Ursachen von Kriegen zum Verstummen gebracht wird. Da war sie wieder sichtbar, diese Trennungslinie, seiner Menschenliebe willen.

Noch einmal zu den wieder gelesenen Briefen von ihm. Seinen abschließenden Gruß verband er oft mit einem Wort von nachhaltigem Klang: Schulterschluss. An der Seite von Günther Rücker und anderen seinesgleichen, die sehr jung, so mit 19 einen Epochenbruch in der deutschen Geschichte durchstanden, mitgestalteten, was einschloss, ein Bildungsprivileg zu brechen, das waren dann wohl auch unsere besten Jahre. Wir können dankbar sein mit Günther ein paar Schritte im Schulterschluss gemacht zu haben.

Worte von Günter Reisch


Regisseur Günter Reisch bei der Ehrung von Günther Rücker am 11. März 2008 - Foto: J.-K. Leopold
Liebe Freunde von Günther Rücker, meine Damen und Herren, -
lieber Günther, verzeih’ uns die Eile, mit der hier alles stattfinden muss. Aber wir wollenwollen Dir das Wort lassen mit Deinem Film. Ich würde gerne hinterher im Café am Ende des Marstalls einen kleinen Film zeigen, den ich über lange Jahre für Günther und über ihn aufgenommen hatte.

Über fünfzig Jahre waren wir befreundet. Und den Kontakt zu ihm - das war übrigens hier in Potsdam in der Jägerstraße, in der Wohnung, in der ich bei meiner Mutter lebte, da besuchte mich Inge Keller, die mit charmanter Bestimmtheit verkündete: Ich habe da ein Hörspiel aufgenommen, mit einem jungen Regisseur, den musst Du kennen lernen! - Inge war ebenso fasziniert von ihm als Autor und schätzte ihn schon damals als kritisch denkenden Sozialisten. Damit griff sie zu meinem Telefon und verband mich mit Günther Rücker. Das war der erste Kontakt mit ihm. Er fragte, ob ich schwimmen könnte und lud mich ein zum Segeln.

Günther Rücker wortgewaltig, seitenkarg, schrieb auf wenigen Blättern Geschichten, die bei Anderen Romane gefüllt hätten. Und wir genossen mit ihm die ausstrahlende Sinnlichkeit einer seltenen Erzählkunst. So danke ich ihm vieles. Einige seiner literarischen Anregungen wurden gemeinsame Filme über "Wolz", den Anarchisten, und den von der "Verlobten". Ein anderes fertiges Drehbuch "Studentenkomödie" konnte 1957 nicht realisiert werden, wegen des Wechsels in internationalen Beziehungen. In diesen langen Jahren, in vielen, vielen Gesprächen, in der Gemeinsamkeit auch am Wasser, wie beim Skilaufen und in den Familien brachte er mich auch dazu, in der Darstellung historischer Vorgänge nicht das Wirken von Persönlichkeiten zu vermitteln oder zu beschreiben, sondern die Reflexion der Geschichte in ihnen selbst. Es ging ihm immer darum, keine äußeren Betrachtungen zu vermitteln, sondern innere Vorgänge erlebbar zu machen. Seine Erzählungen erinnern an die Dichte der Beschreibungen, wie sie bei Kleist zu finden ist. Seine barocken Wortbildungen führen noch weiter zurück. Auf kleinsten Raum drängte er ausufernde Lebenszeugnisse unserer Zeitgenossen in nachfühlbaren Widersprüchen. Er konnte Dramen auf ein befreiendes Märchen reduzieren und erschütterte uns doch mit einem solchen Spiegel der Wirklichkeit. Wir alle genossen sein sinnliches Denken, konzentriert in poetischen Formen.

Als sein letztes , nein, es war nicht sein letztes Buch, aber eine Sammlung seiner schönsten Erzählungen und eine uns unbekannte dazu, als das im Dezember in Berlin Buchpremiere hatte, da schrieb er ein letztes Mal an seine Leser: "Ihr lieben, lieben Freunde, wie soll ich Euch danken für die Ehre, die Ihr mir da gebt. Was Ihr mir da auf dem Weg, der vor mir liegt, schenkt, ist nun das Schönste, das einem wie mir noch widerfahren kann.
Lest das, was so lieb zusammengetragen wurde, bitte nicht als Literatur, lest es als eine Art Abschiedsgruß, den ich fand und Euch mit letztem Händedruck zuschicke. Lebt wohl, meine Liebe ist bei Euch! Euer Günther".


Nun lassen wir ihn zu Worte kommen mit seinem Film Die besten Jahre aus der Mitte der sechziger Jahre, erinnernd an einen Jugendfreund, Prof. Dr. Ernst Machacek, der später Stellvertretender Minister für Volksbildung in der DDR wurde und zuständig für Lehrpläne. Er hatte angefangen ungefähr im gleichen Alter wie Rücker als Lehrer.
Erlauben Sie bitte noch einige Zeilen, die Günther selber schrieb: "Als dieser Film lief, acht Wochen vor dem 11. Plenum des ZK, war das Publikumsecho freundlich, aber einige Leiter sagten mir sehr deutlich, dass die Entwicklung des DEFA-Films nicht mit diesem, sondern mit anderen Filmen weitergehen würde. - Kein Kritiker und kein Leiter kann mit meinen Filmen so streng umgehen wie ich als Autor oder Regisseur. Ich vertrat immer die Meinung, die erste Hälfte des Filmes sei gut, weil richtiger Film, die zweite sei nicht gut, weil ich, von Problemen der Pädagogik überrannt, nichts tat, als diese Probleme zu benennen... Als der Film in einer Retrospektive vor Lehrern und Schülern 1985 gezeigt wurde, sagte ich dies vorweg als Entschuldigung. Nachher sagten die mir, für sie sei es andersherum interessant gewesen. … Die zweite Hälfte nenne Probleme, die auch heute noch nicht gelöst sind..."
Wenn ich darauf hinweise, dass der Film nach der Wende noch nie in einem deutschen Sender gezeigt wurde, dann urteilen Sie selbst, ob hier nicht auch für die gegenwärtigen Diskussionen zum Schulwesen wahrlich Beachtbares aufgeschrieben und von Günther Rücker in Szene gesetzt wurde.
Lassen wir also Günther Rücker zu Wort kommen mit seinem Film, der nun Geschichte ist und nicht nur Filmgeschichte.

PS: Das erwähnte letzte Buch von Günther Rücker "Erste Liebe und anderes" ist erhältlich im Schwarzdruck-Verlag.

Biographie Günther Rücker unter www.filmmuseum-potsdam.de/index.php?id=5781d3ca9158155815680001a0a0a5c1