Leseprobe "Hinter die Bilder schauen"

Hinter die Bilder schauen
Wenn ich fotografiere, bin ich süchtig, den Augenblick Leben festzuhalten, und mir bewusst, dass es nicht möglich ist. Doch ein Abglanz der Erinnerung, der mein Herz berührt, bleibt noch nach Jahren.
Die Fotos und ihre Zusammenstellung sollen zum Mitfühlen und Mitdenken einladen. Hinter die Bilder schauen heißt auch, vergleichen und in den Spiegel der Seele schauen und die eigenen Innenwelten entdecken. Jeder geht seinen Weg.
Auch die Texte, die ich schreibe, wollen, was vergehen und vergessen würde, festhalten. Ich schreibe sie in erster Linie für mich. Ich fotografiere für mich.
Weil mich die Rätsel des Daseins interessieren.
Je öfter ich mich mit ihnen konfrontiert sehe, desto mehr.
Es sind glückliche Momente, wenn ich beim Schreiben, beim Fotografieren (und auch früher beim Filme machen) etwas finde, was mir neu ist, was mich überrascht. Das nicht sofort Verständliche zieht mich an, auch wenn ich es nie verstehen werde. Das Widersprüchliche, das Abenteuerliche und auch das Riskante ziehen mich an. Denn alles hat zwei Seiten.
Es interessiert mich nicht, Handlungen aufzuräufeln, Fäden zu einem Netz zu knüpfen, in dem sich eine konstruierte Geschichte wie in einem Käfig abspielt, und der Vogel darin, so bunt er auch schillert, ist eingesperrt. Handlungsabläufe vergesse ich sofort, nur an Stimmungen kann ich mich erinnern, an Gesichter, Landschaften, Städte …
In mir bleibt, wenn ich eine rätselhafte Seele spüre, bei einem Autor, Regisseur, Maler, Bildhauer, Komponisten, Philosophen gar oder einem ihrer Protagonisten, sei es ein Mann, eine Frau oder ein Kind.
Ich fotografiere und schreibe, um mich selbst auf meinem Weg zu begleiten, um hinter Gefühle und Gedanken zu kommen, die sonst zu flüchtig blieben - und um sie aus­zukosten.
"Schreiben ist gesteigertes Leben", habe ich bei Imre Kertész gelesen, Abbilden auch.
Die Hoffnung bleibt, dass es den einen oder anderen Geistesverwandten gibt.

Wie ich nach Amerika kam
Im Jahre 1988 drehte ich einen Spielfilm über Alexander von Humboldt, "Die Besteigung des Chimborazo", es war die erste Coproduktion zwischen Deutschland Ost und Deutschland West und mein erster Kontakt mit Amerika. Wir drehten in Ecuador.
Als der Film im September 1989 in Ost-Berlin Premiere hatte, interessierten sich die Deutschen zwar für andere Dinge, aber nachdem die Mauer eingerissen war, konnte ich viel eher wieder nach Amerika reisen, als ich es zu hoffen gewagt hatte, 1990 mit diesem Film zum Festival nach Havanna und weiter zur Premiere nach Ecuador.
Dort entstanden im Laufe der Jahre weitere Filmprojekte, von denen drei Video-Filme realisiert werden konnten: 1994 "Die Farben von Tigua" über indianische Malerei aus den Anden, 1998 "Mit Fischen und Vögeln reden" mit den letzten Zápara-Indianern im Urwald Amazoniens und 2000 bis 2003 "Der Ruf des Fayu Ujmu", nach einer Legende der Chachi-Indianer. Ecuador ließ mich nicht mehr los und wurde meine zweite Heimat. Ich kehrte immer wieder dorthin zurück, mit unterschiedlichen Projekten, zu Freunden und Patenkindern.

Doch mit meinen Filmen kam ich auch in viele andere Länder Amerikas. Das Goethe Institut Mexiko veranstaltete 1999 eine Retrospektive, die mich von Mexiko bis Bolivien führte. Ich leitete Film-Workshops in Ecuador, Bolivien, Panamá, Kolumbien, Mexiko, Argentinien, Chile und arbeitete in Festivaljurys in Cartagena und Buenos Aires mit.
Ich zeigte die in Ecuador gedrehten Filme auf den Filmfestivals der indigenen Völker Amerikas, 1996 in Santa Cruz/Bolivien, 1999 in Quetzaltenango/Guatemala, 2004 in Santiago de Chile und 2010 in Quito, zeigte sie im Urwald und in den Anden, auf den Inseln der Kuna-Indianer Panamás und in zapatistischen Gemeinden Mexikos.
2008 lud mich die DEFA-Library in Amherst/USA zu einer Filmmaker’s Tour an mehr als 20 Universitäten in den USA und Kanada ein.

Meine Erfahrungen mit der amerikanischen Welt spiegeln sich ebenfalls wider in meinem Roman "Regenbogenboa", der auch auf Spanisch erschienen ist, und in meiner Autobiografie "Fernes Land - die DDR, die DEFA und der Ruf des Chimborazo".
Während der vielen Reisen entstanden tausende Fotos - und ich beschrieb, was ich erlebte, meine persönlichen Begegnungen mit Amerika.

Ich danke dem Filmmuseum Potsdam, der DEFA-Stiftung, dem Goethe Institut, der DEFA-Library, dem Gellert-Museum meiner Heimatstadt Hainichen und all meinen Freunden in Amerika, dass diese Ausstellung und diese Texte ans Licht der Öffentlichkeit kommen können.