Der Frühling braucht Zeit

Unter den DEFA-Verbotsfilmen jenes berüchtigten SED-Kahlschlag-Plenums 1965 war er der am wenigsten spektakuläre. Als 1989/90 diese Filme an die Öffentlichkeit kamen, blieb er auch wenig beachtet und wurde kaum nachgespielt. Die SED-Spitze ging mit dem Film und seinem Team genauso rigide um wie mit den anderen: Er wurde ohne Ankündigung nach nur kurzer Laufzeit aus den Kinos genommen, die Kopie im Archiv abgeliefert, Regisseur Günter Stahnke fristlos entlassen. Dabei war der Film eine Art Parteiauftrag von höchster Stelle: Die Parteikontrollkommission, das höchste und strengste innerparteiliche Kontrollorgan der SED, hatte den Autoren alle Akten eines hochbrisanten Wirtschaftsverbrechens zur Verfügung gestellt. Daraus gestalteten sie einen dramatischen Prozessbericht mit verteilten Rollen, der die Bedeutung des Vergehens im heftigen Widerstreit der Beteiligten spiegelte. Jedoch: Die Filmemacher waren ehrlich genug zu zeigen, dass keiner der Konfliktträger vollkommen falsch oder vollkommen richtig gehandelt und dass keiner wissentlich ein Verbrechen begangen hatte. Günter Stahnke verschärfte die Heftigkeit der Auseinandersetzung durch schroffe, expressionistisch anmutende Arrangements in kühl-sachlichen Interieurs, die einen herben filmischen Reiz ausstrahlten und von den damaligen Erzählkonventionen abwichen. Eine solche Art, enorm zugespitzte Konflikte differenziert und trotzdem mit Sinn für das Persönliche zu gestalten, wurde den SED-Oberen suspekt und führte zum Verbot. (Günter Agde)

Vergangene Vorstellungen

12 Dezember 2010 | 11:00

Unbekanntes deutsches Filmerbe