Artikel über Herrmann Zschoche in der PNN vom 17.08.2009

Hans Hardt-Hardtloff und Jutta Hoffmann im Verbotsfilm "Karla" - Foto: DEFA-Daßdorf
Wie leben?
Regisseur Herrmann Zschoche übergab dem Archiv des Filmmuseums seinen Nachlass

Von Heidi Jäger
Potsdamer Neueste Nachrichten vom 17.08.2009
Vorsichtig nimmt sie die feine Büttenpapierkarte aus einer der fünf Kisten. Sie gehört zum Nachlass von Herrmann Zschoche, den sie gerade erst überreicht bekam. Der mit schwungvoller Feder von Manfred Krug geschriebene Kartengruß ist der Archivchefin des Filmmuseums, Dorett Molitor, das liebste Stück aus dem Neuzuwachs. Zu dem 1966 gedrehten Zschoche-Film "Karla" notierte der Schauspieler Manfred Krug 30 Jahre später: "Das ist ja ein so unglaublich wunderbarer Film ... Ein großes, schönes Werk. Und wenn die DDR nur gut war, um diesen Film nötig zu machen. Und möglich zu machen ..."

"Karla" gehörte zu den Filmen, deren Aus im Zusammenhang mit dem Verbot von "Spur der Steine" kam. Dargestellt wurde eine junge Lehrerin, die mit offenem Visier und geradem Blick gegen den Dogmatismus in der Schule kämpfte. Gespielt von Jutta Hoffmann, die Zschoche als Student an der Filmhochschule Babelsberg kennenlernte, 1960 heiratete und ein Jahr später mit ihr eine Tochter bekam. "Ich hatte mir Jutta schon während des Schreibens am Drehbuch als Hauptdarstellerin vorgestellt", sagt Herrmann Zschoche. Zu der Heldin Karla, die ihren Idealen treu bleibt, fühlte er sich auch durch das Jugend-Kommunique der SED 1963 ermutigt, das zum eigenen Denken aufrief. "Es gab ja nicht nur Holzköpfe." Das Verbot traf ihn um so schwerer. "Ich habe es nie verwunden, auch Ulrich Plenzdorf nicht, mit dem ich die Geschichte gemeinsam schrieb."

Ein Jahr war danach Stille. Am Ende brachte es Herrmann Zschoche, der Regisseur mit der leichten Hand fürs Heitere und einer großen sozialen Wachheit, dann doch auf 20 Filme bei der DEFA. Er erzählte in "Insel der Schwäne" über Einsamkeit und Gewalt in Neubaugebieten, in "Und nächstes Jahr am Balaton" über ein Tramperpärchen auf der Suche nach sich selbst, in "Hälfte des Lebens" über Hölderlin, der nicht halbherzig leben konnte, in "Bürgschaft für ein Jahr" über eine junge alleinerziehende Mutter, der wegen ihres "asozialen Lebenswandels" das Erziehungsrecht für ihre drei Kinder entzogen werden soll ... Er stellte sich immer wieder die Frage: Wie leben?

Seine Gedanken dazu und die Versuche filmischer Antworten legte er nun beiseite, in die sicheren Hände der Nachwelt. "Wenn man 75 wird, macht man so etwas." Er befindet sich damit in guter Gesellschaft. Denn 155 Kollegen, taten vor ihm Gleiches, wie Frank Beyer, Roland Gräf, Christa Kozik, Karl Gass, Werner Bergmann, Helmut Dzuiba, Helga Schütz oder Jenny Gröllmann. Und auch die Nachlässe von Ufa-Stars, wie Lilian Harvey, Jenny Jugo, Zarah Leander und vielen mehr stapeln sich in den Regalen des Filmmuseumsarchivs in der Pappelallee.

Zum Nachlass von Zschoche gehören sämtliche Drehbücher, geschäftliche sowie private Briefe und Fotos, Fanpost, Plakate, alle Preise, die er erhielt. Und das waren etliche. "Eigentlich ist nichts dabei, was wirklich wertvoll ist. Diese Preise, ja, die waren damals, als man sie empfing, erfreulich, und wenn man sie auf internationalen Festivals bekam, war man auch stolz darauf. Aber heute trenne ich mich leichten Herzens." Schön findet er indes, dass einige seiner Filme noch immer laufen, zu Kultfilmen geworden sind, wie "Sieben Sommersprossen".

Dieser Film über eine Jugendliebe im Ferienlager brachte ihm zu DDR-Zeiten ein Millionenpublikum. Manche Jugendlichen hätten ihn bis zu sieben Mal gesehen und seien immer wieder mit hochroten Ohren aus dem Kino gekommen, so Zschoche. "Man muss weder unbedingt jung sein, noch Sommersprossen haben, um den Film zu mögen, der lebenswichtige Probleme Jugendlicher so ehrlich, mutig und ohne falsche Scham und mit ansteckendem Spaß behandelt", schrieb 1978 die für ihren spitzen Stift bekannte "Kino-Eule", Renate Holland-Moritz.

Wohl erstmals in einem DEFA-Film waren Fünfzehnjährige nackt zu sehen. Und sie fassten sich auch noch an. Doch der Film bestach nicht nur durch seine Offenheit, sondern vor allem durch seine Sensibilität. Wie so oft arbeitete Zschoche mit Laien. "Für sie war es natürlich nicht leicht, sich vor der Kamera auszuziehen. Aber wir haben es kurz und schmerzlos hinbekommen, gleich am Anfang. Das hat die Last von uns genommen."

Um seine Laiendarsteller zu finden, die sich selbst und damit sehr authentisch spielten, fuhr er oft monatelang mit seinem Kameramann umher, lief treppauf, treppab durch die Schulen, um Gesichter zu sichten. "Nach der Wende war so etwas undenkbar: Da habe ich sogar die Schauspieler für die Hauptrollen vom Produzenten präsentiert bekommen."

Zschoche war dennoch froh, auch nach 1989 im Filmgeschäft bleiben zu können. Er drehte für die Serien "Drei Damen vom Grill" und "Kurklinik Rosenau". Auch ein "Tatort" mit Manfred Krug war dabei, auf Vorschlag des Schauspielers, mit dem er schon bei der DEFA gern arbeitete. 1998 hörte es mit Aufträgen auf. "Die sehen doch, wie alt man ist." Gern hätte er weitergemacht. Nun hat er indes Zeit, seine Forschungen über den Maler Caspar David Friedrich voran zu bringen, über den er bereits zwei Bücher geschrieben hat und ein drittes vorbereitet.

Als der gebürtige Dresdner 1972 eine Ausstellung über den Romantiker in seiner Heimatstadt sah, fing er Feuer. Vielleicht weil er selbst ein Romantiker ist. Ein jugendlicher Zuschauer, der "Sieben Sommersprossen" eine Generation später sah, sagte in einem Filmgespräch: "Ich habe den Eindruck, die jungen Leute waren damals romantischer." Vielleicht lag das auch mit an dem "Filmvater". Und natürlich an Drehbuchschreiberin Christa Kozik, mit der Herrmann Zschoche immer wieder gern zusammen arbeitete. "Es gab bei der DEFA kaum Drehbücher, die mir gefielen. Christa Koziks Arbeiten erzählten indes Geschichten ohne aufdringlichen Zeigefinger." Sie brachten ihn auch auf die Themenspur der Kinder und Jugendlichen.

Zschoche war ein Publikumsregisseur. Sein Humor entsprach dem der Zuschauer, wie auch sein kritischer, in den Lebensalltag hineinleuchtender Blick, den er sich trotz Karla nicht verstellen ließ. Die Karte von Manfred Krug findet der Regisseur "gescheit formuliert": "Mit wenigen Zeilen beschreibt er die Situation in der DDR, die eben so war und so."